„Warum sind wir noch mal hier?“, frage ich.
„Pssst!“, macht Heiko.
„Pssst!“, macht der Pastor.
„Pssst!“, macht die dicke Frau eine Holzbank
vor uns, hält dabei ihren ausgestreckten Zeigefinger vor ihre breiten, roten
Lippen und verursacht so ein abgefahrenes, beatboxmäßiges
Plattennadelscratchgeräusch.
„Psss-wikidiwiki-ssst!“,
macht die dicke Frau.
„Wow! Los, machen sie das noch mal!“, sage
ich.
Mit Gott ist das so eine Sache. Da gibt es
die, die glauben; die, die zu glauben glauben; die, die glauben, dass es
eigentlich nicht wichtig ist und Andere, die glauben, Gott führe auf direktem
Wege in ihr Wertpapierdepot. Es gibt die, die meinen Gott wohnt zwischen zwei
Buchdeckeln, zwischen zwei Takten oder zwischen zwei Brüsten. Es gibt sogar
welche, die Gott zwischen drei Brüsten ausgemacht zu meinen haben wollen, wobei
ich glaube, dass ich das dann auch so genau gar nicht wissen muss. Es gibt die,
die nur an sich selbst glauben, weil sie immer alleine klar kommen mussten. Es
gibt die, die an alles und jeden glauben, weil sie immer alleine klar kommen
mussten.
Es gibt die, die mit weißglühender Inbrunst so
sehr an gar nichts glauben, dass sie es nicht mal mehr merken, wenn sie den Fundamentalismus schon
längst von der anderen Seite her erreicht haben.
Es gibt Leute, die glauben an Jesus, den
Propheten, den achtfach gewundenen Pfad zur Verschwurbelung allen Seins und
daran, dass man Nudeln nach dem Kochen mit kaltem Wasser abschrecken muss.
Aber, liebe Schafe, schreckt man Nudeln nach
dem Kochen ab, verlieren sie ihre
Stärkeschicht, auf dass selbst die schmackhafteste Sauce Bolognese ihres Halts
verlustigt geht und statt die Zunge zu erquicken, nur mehr als Element
unfreiwilliger Dekoration auf dem Stehkragen zu verenden gezwungen ist. Man
schreckt nicht ab, erfüllt einen der Gedanke an klebrige Nudeln auch mit noch
so großer Furcht. Man gibt einen Schuss Olivenöl in das siedende Nudelwasser.
So oder so können wir festhalten, Glaube hat mit Stärke, Schrecken, Halt und
manchmal auch mit Öl zu tun. Mit Gott ist das so eine Sache.
„Ernsthaft, warum sind wir hier?“, versuche
ich es erneut.
„Das frage ich mich auch. Ich erlebe gerade eine Glaubenskrise.“,
antwortet Heiko.
„Eine Glaubenskrise?“
„Eine Glaubenskrise.“
„Woran glaubst Du denn bitte?“
„An Diverses.“
„An Diverses?“
„Diverses.“
„ … Geht das vielleicht auch ein wenig
konkreter?“, bitte ich, mit all der mir zur Verfügung stehenden Zurückhaltung.
„Leider nicht, Religion definiert sich
gewissermaßen durch den Mangel an Konkretem.“
Wir schweigen. Soll heißen, Heiko schweigt,
ich staune. Ich hatte meinem Freund so einiges zugetraut. Dass er beim Betreten
der Kirche das Portal kraftvoll aufstößt, dem Priester einen Kasten Wasser auf
den Altar stellt und dann behauptet, er käme vom örtlichen Weingroßhändler und
hätte dem Chef ein erstklassiges Angebot zu unterbreiten. Oder
Steuerhinterziehung. So was hätte ich mir vorstellen können, aber keine
Spiritualität, keinen Draht nach oben oder nach dahinter, ist der glaube an
Gott doch in erster Linie das Eingeständnis der eigenen Grenzen. Das Anerkennen
größerer Mächte und der Wunsch, dass uns diese wohlgesonnen sind. Manche
Menschen finden das furchterregend und wieder andere finden darin Hoffnung. Mit
Gott ist das so eine Sache.
„Also,...“, versuche ich es noch einmal. „Auf
dem Weg zu McDonald's hinterfragst du spontan deine klerikalen Ansichten; wobei
ich nicht weiß, ob es mich mehr überrascht, dass du nun über klerikale
Ansichten oder die Fähigkeit zum Hinterfragen verfügst; und betrittst zu diesem
Anlass das erstbeste Gotteshaus, dessen
du ansichtig wirst, obwohl du, meines Wissens, noch nie Interesse an
irgendeiner Form von organisierter Frömmigkeit gezeigt hast?“
„Das war aber ein langer Satz.“, versucht er
abzulenken.
„Jetzt lenk nicht ab!“, flüstere ich zischend
zu ihm herüber.
„Ja, so in etwa. Wenn ich mit jemandem über
Grillfleisch reden will, gehe ich zum Fleischer. Und wenn ich über meine
Steuererklärung reden will, gehe ich zum Finanzamt. Und keiner von beiden will
wissen, warum ich früher noch nie da war.“
„Auch nicht das Finanzamt?“, hake ich nach.
„Gut, schlechtes Beispiel.“
„Und war es denn wirklich notwendig, beim
Hereinkommen laut „Ach du heilige Scheiße Allmächtiger, dein Spiel ist aus!“ zu
rufen?“
„Warum denkt eigentlich jeder, dass Sinnkrisen
keinen Spaß machen dürfen?“, bekomme ich zu hören.
„Dir ist bewusst, dass hier gerade eine
Hochzeit stattfindet?“
„Psssst!“, macht der Bräutigam.
„Psssst!“, machen Heiko und ich.
„Psssst!“, macht der Pastor.
„Kann mir mal wer ein Taschentuch bringen? Der
Pastor hat mich angespuckt.“, ruft ein gebrechlich wirkender Mann im schlecht
sitzenden Anzug.
„Hier, Papa.“, sagt die Braut und zieht ein
Tempo aus ihrem Ausschnitt, das offensichtlich für Tränen bestimmt war, aber
man ist ja flexibel.
Ein wenig später, als Wogen geglättet und
Revers trocken gerieben sind, fordert man uns zum singen auf. Ich bleibe alle
paar Worte hängen und beschränke mich letztlich darauf, nur meine Lippen zum
Playback der Gemeinde zu bewegen und dafür Stellen, die mir bekannt vorkommen,
sehr laut mit zu murmeln.
Als der zweite Song „Oh, Happy Day“ angestimmt
wird, hält es niemanden mehr auf den Sitzen. Um uns herum erheben sich Freunde
und Verwandte, begeistert und selbstverloren auf den Fußballen wippend. Einige
von ihnen strecken sogar mit geschlossenen Augen ihre Hände dachwärts, ganz so,
als könnten sie den Himmel mit den Fingerspitzen berühren. Einen Augenblick
lang beneide ich sie und weiß selbst nicht warum. Dann weiche ich nur knapp dem
im Rhythmus schwingenden Hintern der dicken Frau aus und bin froh zu sehen,
dass wenigstens Heiko sitzen geblieben ist. Lächelnd, es fällt mir schwer, hier
nicht das Wörtchen selig zu gebrauchen, dreht er den Kopf zu mir und sagt:
„Sei unbesorgt. Ich habe mit Gott gesprochen.
Ich soll dir ausrichten, bleib sitzen, chill mal die Base.“
„Klingt nicht gerade biblisch.“
„Er versucht halt cool rüber zu kommen. Für
die jungen Leute, du weißt schon.“
„Finde ich nett, dass er uns noch dazu rechnet
… Und hilft's? geht’s dir jetzt besser?“, frage ich vorsichtig.
„Schon. Sag mal, wenn ich jetzt aufspringe und
wiederholt „Das Licht, das Licht, ich sehe das Licht!“ rufe, würdest Du dann
für mich nach vorne gehen und den Popen zur Rede stellen, ob das Licht denn auch mit
Ökostrom betrieben wird?“ Ich nicke. Ich weiß jetzt, alles wird wieder
gut. Ich glaube daran.
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