Dienstag, 9. September 2014

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Wenn jemand auf mich zu kommt und mich fragt, wie es so läuft. Dann blicke ich nach unten und sage: „Ich stehe.“
Wenn jemand wissen will, auf welche Musik ich so stehe, dann blicke ich nach unten und sage: „Ich sitze.“
Und wenn dann jemand meint, dass er das nicht so gemeint habe, sondern nur wissen wollte, welche Musik ich so höre, dann sage ich: „Fahrstuhlmusik. Denn wir fahren gerade mit demTreppenlift, was du zum Anlass genommen hast, mich blödes Zeug zu fragen, Arschloch.“, worauf hin jemand mich dann erst mal nichts mehr fragt, mich jedoch der Unhöflichkeit bezichtigt. „Wie, unhöflich? Du bist doch derjenige, der nicht mal 60 Sekunden Stille ertragen kann, aber ich bin unhöflich?“
„Ja.“, sagt dann jemand und hat recht aus irgendeinem Grund, der sich mir zu erschließen schon mein ganzes Leben lang erfolgreich verweigert.


Ich beherrsche sie nicht. Die Kunst der spontanen, ungezwungenen Konversation. Sie geht mir abhanden, die Fähigkeit Lücken in der Zeit mit der Imitation eines Gesprächs zu verfugen, auf dass es schneller nachher werde. Ich kann keinen Smalltalk.
„Muss ja auch nicht.“, schalmeit es mir da aus jemandes Mund entgegen. „Muss ja auch nicht, dafür kannst du eben andere Sachen gut.“, ruft er und klingt dann ein wenig wie der Klassenlehrer, der das junge Elternpaar behutsam darauf vorbereitet, dass der kleine Sven-Tyler die von seinen Erzeugern angedachte Laufbahn als Doktor der Raketenwissenschaften und Bundeskanzlerei wohl haarscharf verfehlen wird.
„Ihr Sohn“, sagt der Lehrer dann. „Ihr Sohn ist so dumm, dass die einzige Frage, die er bis zum heutigen Tage richtig beantworten konnte, die nach seiner Anwesenheit ist. Im zweiten Versuch. Sven-Tyler wird nie richtig lesen und schreiben können, aber, Sportsfreunde, muss ja auch nicht. Dafür kann er eben andere Sachen gut.“
„Was denn?“, fragen die jungen Eltern dann.
„Na, zum Beispiel kann er geheime Nachrichten per Achselfürzen an seine Mitschüler morsen. Allerdings lassen dabei, wie schon erwähnt, Grammatik und Orthografie doch einiges zu wünschen übrig.“, antwortet der Lehrer und trägt so auf seine Weise etwas zur Gesamtlage bei.


Eigentlich stimmt es ja. Ich bin nun mal nicht gut im Smalltalk, aber ich kann andere Dinge. Dinge, die so manchen Lapsus aufzuwiegen vermögen sollten, wäre es nur das, worauf es ankäme. Nur, meine lieben Schafe, so ist es leider nicht. Ich zum Beispiel kenne die Zahl Pi bis zur 27. Stelle hinter dem Komma auswendig. Es gibt Menschen, die finden das sehr beeindruckend. Aber wie nun gelingt es, ein Gespräch auf einer Party dergestalt zu lenken, dass man den Satz „Übrigens! 3,141592653589793238462643383.“ unauffällig einfließen lassen kann?
Wir merken, Smalltalk funktioniert nur auf eine bestimmte Art und Weise. Er ist gleichermaßen Code und ein Schutzschild, der es uns erlaubt, andere Menschen quasi auszuprobieren, ohne uns ihnen wirklich öffnen zu müssen. Und wie bei jedem Code, kann Kommunikation nur stattfinden, wenn die Kommunizierenden strenge, exakt einzuhaltende Regeln befolgen. So lautet die richtige Antwort auf die Frage „Wie geht’s?“ immer
„Gut. Und selber?“.
Beantwortet man hingegen „Wie geht’s?“ mit „Großartig, ich habe gerade ihrer Mutter eine Vielzahl von Orgasmen verschafft und plane, dies auch zukünftig zu tun.“, so spielt der Wahrheitsgehalt dieser Aussage für den weiteren Gesprächsverlauf quasi keinerlei Rolle.
Wir halten fest, es kommt nicht auf den Inhalt an.

Eine weitere beliebte Eröffnung lautet: „Na, auch hier?“ Sofern man nicht der kleine Sven-Tyler ist, fällt es schwer sich von dieser Frage nicht veräppelt zu fühlen. Denn in einem auf einem Mindestmaß an Logik und Kausalität basierendem Weltbild lautet die richtige Antwort auf die Frage „Na, auch hier?“ natürlich „Wann hattest du nochmal den Termin beim Augenarzt?“. Stattdessen sagt man: „Hm, und du so?“
Wir halten fest, es kommt neben dem Inhalt auch nicht auf die Form an. Doch worauf dann? Ich weiß es nicht. Und das bringt uns zum eingangs beschriebenen Problem zurück. Wie geht Smalltalk? Abermals lautet die Antwort: Ich weiß es nicht. Immerhin weiß ich aber, wie es nicht geht. Durch Feldversuche gelang es mir, über Jahre und Jahre hinweg, gleich einem Kapitän der seinen Dampfer aus Neugier am Eisberg zerschellen lässt, mindestens eine Methode sicheren Scheiterns zu eruieren. Man führt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keinen Smalltalk, wenn man sich die Socken auszieht, diese dann zu einem annähernd runden Klumpen zusammenknüllt und jemandem, der nicht mal für neun Stockwerke Treppenlift die Klappe halten kann, tief in die Speiseröhre hinabschiebt. Allerdings läuft man Gefahr, dabei ein ganz klein wenig unhöflich zu wirken.

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