Läuft. Meine Nase läuft. Damit hat Sie mir einiges voraus, denn ich
laufe nicht, sondern liege. Hier in meinem Bett, in dem ich heut
Nacht keinen Schlaf zu finden vermag, denn meine Nase läuft.
Manchmal scheint sie auch ein Paar Schritte zu rennen oder fröhlich
zu hüpfen und für einige besonders eklige Momente tanzt sie sogar
den Moonwalk. Meine Nase hat den Spaß ihres Lebens. Ich atme durch
den offenen Mund. Immer wieder mal verfängt sich mein Blick auf dem
Straßenlaternenlicht, dass sich auf den sanft wogenden Vorhängen
niedergelassen hat, driftet mein müder Verstand beinahe weit genug
weg, bevor ich dann doch wieder aufschrecke, weil mein eigenes
Geschnarche mich erschrickt.
Der Schrecken vorm eigenen Schnarchen
ist ein ganz besonderer. Zuerst erschrickt man so ganz allgemein,
dann, weil so kurz nach dem Aufwachen kein Mensch sicher sagen kann,
ob zwei eine gute Menge Füße ist, übernimmt ein durch
Jahrmillionen Angst vor nächtlichen Geräuschen geschärfter
Fluchtreflex die Kontrolle.
Wie ein Springmesser klappt man dann in
die Vertikale, stößt sich den Kopf an der zu tief hängenden
Leselampe, wodurch die dünne Kruste geronnen Rotzes aufbricht und
das ganze Spiel wieder von vorn beginnt. Die Nase läuft. Man mag
sich nicht vorstellen, wie viel Energie da auf den Staat
hochgerechnet im Jahr verschwendet wird. Ich knipse das immer noch
baumelnde Licht an und notiere auf ein Papiertaschentuch:
„Selbstversorgende Krankenhäuser durch tief über den Betten
installierte Prell-Balken, welche die Stoßenergie der
Patientenstirnen über ein hydraulisches Gestänge in Elektrizität
umwandeln.“
Das ist die Sorte Gedanken, die mich umtreibt, wenn
ich nicht schlafen kann. Ich weiß wohl, das ist auch nur eine andere
Art Rotz, der da aus mir herausströmt. Gedanken-Rotz, aber egal ob
Nase oder Kopf, hast du Schnupfen, läuft es eben. Überhaupt,
Schnupfen, pah! Echte Krankheiten bedrohen dich mit Schmerzen, Tod
und Brechdurchfall. Ich mache das Licht noch mal an und notiere auf
Rückseite des Taschentuchs:
„Schmerzen, Tod und Brechdurchfall.
Guter Name für eine ironische Amigos-Coverband“.
Nur
Schnupfen, der ist nicht bedrohlich. Wo liegt da die Gefahr? Wer
kennt jemanden, der mehrere Wochen lang durch das linke Nasenloch
dehydrierte, um schließlich elendiglich an Austrocknung zu verenden?
Hm? Wenn Schnupfen ein Mensch wäre, dann mit Sicherheit kein Killer,
ja noch nicht mal ein Handtaschendieb. Schnupfen wäre der Typ, der
schon in den Bus einsteigen will, während alle Anderen noch
aussteigen. Schnupfen, du könntest dir meines Mitleids sicher sein,
wärest du nicht so lästig!
Lästig zu sein bedeutet im
Wesentlichen auf aggressive Art und Weise Bedeutungslos zu sein und
genau diese Eigenschaft teilt die durchschnittliche Rhinitis acuta
mit meiner Nase. Meine Nase ist wie der Ersatzreifen in meinem
Kofferraum, wie der rosa Power Ranger, das am wenigsten nützliche
Mitglied in einer Gruppe von fünf.
Früher mag es ja einmal
wichtig gewesen sein, gut riechen zu können. Damals, als sich Wölfe
geschützt von Dickicht und Windschatten an einen anzupirschen
versuchten, aber heute?
Fragen Sie sich selbst, worauf könnten
Sie verzichten? Auf das Gefühl von Samt und Frauenhaar zwischen
Ihren Fingern? Auf die ungestüme Farbenpracht eines Feuerwerks, auf
Symphonien oder gar auf den Geschmack von Äpfeln und unbekümmerten
Küssen? Oder doch eher auf die sommerliche Autofahrt zwischen zwei
frisch gedüngten Weizenfeldern? Außerdem, was gibt es denn heute
schon noch groß zu riechen? Parfüms, Tarngerüche als olfaktorische
Mimikry im Dschungel der Gesellschaft, und Schnittblumen. Zu
Namenstag und Abitur überreicht man uns freudig Bündel dem Tode
geweihter Lippenblütler und erwartet dann ein hingebungsvolles
„hmmmmm“, wenn wir an den langsam dahin siechenden, amputierten
Pflanzenleibern schnuppern. Und dann sagen wir auch „hmmmmm“,
weil wir die Stimmung nicht verderben wollen. „Hmmmmm“ sagen wir,
wie zu einem Kind, das während seiner Schulaufführung drei Mal den
Text vergessen hat, obwohl es nur einen Baum am Bühnenrand spielen
durfte und sein einziger Beitrag aus der Zeile „Ihr habt’s
erfasst, das ist mein Ast.“ bestand.
„Hmmmm, das war ganz
toll. Ganz toll hast du … also, nee wirklich. Das waren die besten
Duftmoleküle im ganzen Saal! Feine Nase! Brave Nase!“, sagen wir
aber irgendwie kriegen sie ja doch immer mit, wenn man sie anlügt.
Und dann wird die Nase aufsässig und hängt später aus Trotz immer
mit diesen Erkältungsviren ab, einfach weil sie genau weiß, dass
uns das wahnsinnig macht. Steckt ja auch schon drin im Trotz, der
Rotz.
Ein letztes Mal mache ich Licht und notiere auf der
Raufasertapete:
„Mischwald, das Musical. Die fantastischen Vier
spielen das heldenhafte Ritterquartett Borke, Rinde, Wurzel und
Horst.“
Dann dehydriere ich langsam durch das linke Nasenloch
uns verende elendiglich an Austrocknung.
Ich werde wohl nie wieder normalen Schnupfen haben.....ohne an dein Werk denken zu müssen!
AntwortenLöschenSchaff dir unbedingt einen Block an, den du neben das Bett legst. Papiertaschentücher und die Tapete sind sicher nicht geeignet für deine Gedankengänge :D
Danke! :)