Freitag, 23. Mai 2014

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Über McFit


„Hallo Karsten. Schön dich bei uns zu haben!“, sagt das große Lächeln.
„Karsten findet's auch schön.“, antwortet Heiko für mich.
Wir haben den McFit betreten, erfüllt von dem Ansinnen unseren computerbildschirmlichtgebleichten, wabbeligen, amorphen Körpern ein Mindestmaß an Konturen angedeihen zu lassen. Schließlich steht der Sommer in den Startlöchern und wenn man der Damenhygieneartikelwerbung Glauben schenken darf, kann es sich nur noch um Tage handeln, bis ein Beamter des Bundessommerministeriums an meine Tür klopft, all meine Kleidung beschlagnahmt und mir zum Ausgleich etwas dalässt, das, wenn es mal groß wird, eine Badehose sein möchte.
Ich habe nie verstanden, warum die Menschen so ausdauernd über den Winter schimpfen. Schon klar, es ist kalt. Aber man darf drinnen bleiben, wo es niemanden stört, wenn man unter drei Pulloverschichten langsam mit der Couch verschmilzt. Im Sommer hingegen muss man raus, um auf körnigem Sand zu sitzen und sich von anderen Menschen mustern zu lassen, die sich alle entschlossen haben, dich anzustarren, weil die LCD-Bildschirme ihrer Smartphones im Sonnenlicht zu stark reflektieren. Ein schöner Geist in einem schönen Körper und so. Schöne Scheiße.

Vorhin klopfte es an meiner Tür. Als ich gerade hektisch versuchte, meine Kapuzenpullis in der Spülmaschine zu verstecken, klopfte es ein zweites Mal und Heikos Stimme drang durch den Flur.
„Mach auf. Ich bin's.“
„Ach du, komm rein. Was gibt’s denn?“
„Wir müssen trainieren gehen.“
...
Der folgende Moment lässt sich am ehesten als Schluckauf in der Matrix beschreiben. Genau so gut hätte Heiko mir mitteilen können, dass er sich als dritte Stimme einem Akkordeon-Orchester angeschlossen hätte oder plane, den Rekord für Goldfischweitwurf zu brechen. Dinge also, die, theoretisch gesprochen, nicht direkt unmöglich sind, aber doch so nah dran, dass es eigentlich keinen echten Unterschied mehr macht.
„Wir müssen trainieren gehen.“
„So, so.“, sage ich, um Zeit zu gewinnen.
„Ja, das ist gut für den Rücken und die Mädels stehen drauf. Du willst doch auch was für deine Cardio tun. 
Dein Körper ist ein Tempel. Komm, wir gehen zu McFit. Da kann man zwei mal für umsonst outworken, bevor man was zahlen muss. Einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul. Komm, wir trainieren das System kaputt und werden muskulöse Helden der Arbeiterklasse. Oder willst Du, dass die Dicken gewinnen?“
Was danach geschah, ist ein in meiner Erinnerung verchwommener Brei aus halbgaren Argumenten, Motivationsreden und glatten Lügen, die aus Heikos Mund auf mich hernieder kamen, wie der Todesstern auf Alderaan und dessen Fluten mich wie von Zauberhand vor die Tore der modernen Folterkammer spülten.

Verwirrt betrachte ich den lässig über meine Schulter geworfenen Turnbeutel. Seit wann habe ich einen Turnbeutel? Und seit wann besitze ich abgewetzte Laufschuhe, die sich, wie ich am Geruch erahnen kann, wohl im Beutel befinden müssen? Ich hebe meinen Blick und stelle erstaunt fest, dass es im McFit genau wie auf der Brücke der Enterprise aussieht. Überall weißes, glattes Plastik, gebogene Linien und Bildschirme, auf denen Menschen in farbenfroher, eng anliegender Kleidung kryptische Diagramme befingern. Zwischen ihnen gehen andere Menschen ohne erkennbaren Zweck, aber dafür sehr energisch irgendwo hin und selbst eine Eingangsschleuse gibt es, an der man sich ausweisen soll und die, natürlich, mit einem freundlichen „Ts-tschhhhh“ sanft vor uns aufgleitet. Nachdem wir unsere Daten in ein Touchpad am Eingang eingetippt haben, treten wir an den kommandieren Brückenoffizier heran. Ein junger, braungebrannter, dynamisch frisierter, bepolohemdeter Adonis, dessen Muskeln den Stoff des Textils sich elegant anspannen lassen. Er blickt mit einem makellosem Hollywoodlächeln von seinem, in das Furnier des Tresens eingelassenen, Display auf und strahlt mich mit umfassender Überlegenheit an. „Hallo Karsten. Schön dich bei uns zu haben!“, sagt das große Lächeln. Noch nie in meinem Leben habe ich mir derart gewünscht, gesiezt zu werden.
„Karsten findet's auch schön.“, antwortet Heiko für mich.
„Tue ich das?“, frage ich nach.

Aus versteckten Lautsprechern wummert Elektro und überall um mich herum hebt man Gewichte im Takt, läuft man gleichgeschaltete Schritte und kommt doch nicht von der Stelle. Das pulsierende Atmen angestrengter Gesichter zerfließt zu einer weiteren, unangenehm organischen Tonspur in diesem Lied von Eis und Feuer, dass ich noch nie zuvor gehört habe. Ernst blickt man hier, denn Selbstoptimierung ist nun mal kein Spiel. Nur auf den überlebensgroßen Fotos an den Wänden lächeln mich vollständig körperfettbefreite Modellathleten an und verweisen auf den offiziellen McFit-Slogan: „#MACHDICHWAHR“
Hashtag mach dich wahr. Hashtag, denn es wird erst wahr, wenn Du jemandem davon erzählst. Trainiere, schwitze, stähle dich und dann zeige der Welt deine Muskeln. Sich gut zu fühlen, ist gut. Sich besser als der Typ neben dir zu fühlen, ist geil!
„#MACHDICHWAHR“, sagen die Wände.
„Hallo Karsten. Schön dich bei uns zu haben!“, sagt das große Lächeln.
„Komm, wir gehen Burger essen.“, sagt Heiko. „Wenn jemand nachfragt, erklären wir einfach, wir hätten McFit und Mc Donald's miteinander verwechselt.“
„Aber ich dachte, wir müssen trainieren?“
„Ja, machen wir morgen.“, antwortet er und beide wollen wir es glauben.


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