Donnerstag, 13. Februar 2014

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Über die Hölle


Das hier, das ist die Hölle. Über die Jahre hinweg hatte ich mir viele Bilder von der Hölle gemacht. Als Kind stellte ich sie mir als unendlichen Dauerlauf um die Aschenbahn meiner Schule herum vor, wobei die Asche aber noch nicht Asche sondern glühende Kohle war und der Letzte nach jeder Runde von einem vielbeinigen Landhai mit dem Gesicht unserer Direktorin gefressen wurde. Eine Idee, die in meinen prätentiösen Jugendjahren dem berühmten Satz „Die Hölle, das sind die Anderen“ wich und die noch später von der sehr erwachsenen Angst abgelöst wurde,
ich könnte für immer und ewig allein bleiben, nur um schließlich irgendwo in einer Ecke zusammengerollt, von niemandem vermisst oder auch nur bemerkt, leise zu sterben, vermutlich, weil ich zu oft mit Sartre-Zitaten um mich geworfen habe. Wer will das schon die ganze Zeit über hören? Da kann man sie verstehen, die Anderen. Doch inzwischen weiß ich es besser. Die Hölle ist ein Kleinbus angefüllt mit Schlafsäcken und Kindern im Hochsommer.

Ich hatte das Wochenende außerhalb der Stadt am See verbracht und eine befreundete Familie bot an, mich bis zur Haltestelle Grenzallee mitzunehmen. Und nun sitze ich hier, zwischen allerlei Campingutensilien in absonderlichen Winkeln zur Bewegungslosigkeit verdammt und lausche dem leisen Brutzeln unserer Oberschenkel auf dem Kunstlederbezug der Rückbank. Es riecht nach Angst und Speck. Heiß ist es, oh ja! Doch nicht das ist es, was mich glauben lässt, kleine Teufelchen würden gleich kommen, um mich mit ihren Dreizacken wie Spagetti aufrollen. Nein, die Hölle, das ist Bärtram der Bär.
„Können wir Bärengeschichten hören?“, fragt das mittlere Kind. Kurz sehe ich es in den Augen des Vaters blitzen, so als erwöge er ernsthaft, seinen Wagen einfach hier und jetzt um den nächsten Baum zu wickeln, doch seine Frau ist schneller am Autoradio, als er auf dem Gaspedal.

Bärtram der Bär ist Protagonist einer derart debilen Hörspielreihe, dass sich Benjamin Blümchen dagegen intellektuell wie eine Heidegger Gesamtausgabe auf Altaramäisch ausnimmt. Wenn es ein Gegenteil von Abenteuer gäbe, keine bloße Langeweile, sondern ein Ereignis, ein Event, das den Status Quo nicht nur nicht verändert, sondern ihn zementiert und mit Stahlträgern fest im Boden verankert, dann wäre es genau das, was Bertram so passiert. Nämlich nichts. Nichts in bekömmliche fünf Minuten-Häppchen portioniert. 
In der einen Geschichte lauscht Bertram beispielsweise dem Meeresrauschen in einer Muschel und geht dann wieder nach Hause.  In der nächsten, die Nerven ausleiernden Episode geht Bärtram mit seinen kleinen Freunden Bärta, Bärbel und Bärlauch zum Spielplatz und dann wieder nach Hause. In der dritten Story beschließt unser haariger Held, seiner Mutter einen Geburtstagskuchen zu backen, kleckert dabei die Küche voll, worüber Bärenmutti aber großzügig hinwegsieht. Beide sind bereits zuhause.
Wow.

Kinder sind dumm. Man kann das ruhig so sagen. Kinder fassen nach heißen Herdplatten und glauben tatsächlich, ihre Eltern wüssten auch nur im Ansatz, was sie da eigentlich tun. Kinder sind dumm, aber das ist ok, denn niemand verlangt von ihnen, einen Bildungsroman zu schreiben und die meisten bemühen sich zumindest, was mehr ist, als ich über so manchen Erwachsenen sagen kann. Es ist unsere Aufgabe, sie zu lehren, zu leiten, ihnen ein Vorbild zu sein, sie zu fördern und zu fordern. Doch graust es mir vor den Männern und Frauen von Übermorgen, denen heute beigebracht wird, ja, mal hübsch nach Hause zu gehen. Passive Nesthocker werden sie sein. Flauschig und hilflos werden sie sein, wie Kätzchen im Trockner. Und ihre einzige Waffe werden ihre alliterativen Namen sein, mit denen Sie Fressfeinde zum lachen bringen können! Beauregard der Bonobo. Gertrude Grottenolm. Wenn man es richtig elitär mag, kann man auch noch ein Adjektiv hinzufügen. 
Dann bekommt man Otti den oszillierenden Ozelot und beherrscht die ganze, elende Nordhalbkugel! Nur das wäre dann ja schon wieder kreativ und mutig und was bitte sollen wir mit kreativen und mutigen Leuten anfangen?

Der älteste Sohn fragt: „Können wir Radio Teddy hören?“
Ich vermute, dass ihm der ganze fusselige Bärenmist ob meiner Gegenwart zumindest latent peinlich ist, werde dann aber schnell eines Besseren belehrt. Es gibt einen Comic, in dem Batman und Superman zu einem einzigen Wesen verschmolzen werden. Das Ergebnis ist dabei nicht etwa ein superstarker Fledermausmann mit Laserblick und homoerotischen Untertönen, was absolut awesome wäre, sondern ein Mann, der auf der rechten Seite Batman und auf der linken Superman ist. Auf der rechten Seite Batman, auf der linken Seite Superman. Als hätte man sie mit einem Messer in der Mitte glatt geteilt und dann mit Uhu falsch herum wieder zusammengefügt. Radio Teddy folgt diesem Beispiel, denn es sendet zur einen Hälfte Kinderlieder und zur anderen kontemporäre Popmusik und zielt damit direkt auf entnervte Väter, für die gegenüber Bärengeschichten selbst eine Prostata-Untersuchung mit kalten Fingern eine signifikante Verbesserung darstellt. Beschließe, Radio Teddy fortan Radio Kleineres Übel zu nennen. Stelle fest, dass kontemporäre Popmusik genau wie Kinderlieder klingt. Zuerst hören wir ein Lied über Emma die Ente, die stets verpennte und niemals pünktlich war. Dann „So soll es bleiben“ von Ich und Ich. Beide Lieder klingen genau gleich. Hier, ein Textauszug aus „Emma die Ente“:

Ich warte schon so lange
auf den einen Moment
Ich bin auf der Suche
nach 100%
Wann ist es endlich richtig?
Wann macht es einen Sinn?
Ich werde es erst wissen
wenn ich angekommen bin

Und nun zum Vergleich ein Paar Zeilen von Ich und Ich:

Quak, quak, quak, quak.

Die Sonne scheint. Der Sohn scheint zufrieden. Der Vater scheint innerlich tot. Ich beneide ihn, denn das hier, das ist die Hölle.

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