Das hier, das ist die Hölle. Über die Jahre hinweg hatte ich
mir viele Bilder von der Hölle gemacht. Als Kind stellte ich sie mir als unendlichen
Dauerlauf um die Aschenbahn meiner Schule herum vor, wobei die Asche aber noch
nicht Asche sondern glühende Kohle war und der Letzte nach jeder Runde von
einem vielbeinigen Landhai mit dem Gesicht unserer Direktorin gefressen wurde.
Eine Idee, die in meinen prätentiösen Jugendjahren dem berühmten Satz „Die
Hölle, das sind die Anderen“ wich und die noch später von der sehr erwachsenen
Angst abgelöst wurde,
ich könnte für immer und ewig allein bleiben, nur um
schließlich irgendwo in einer Ecke zusammengerollt, von niemandem vermisst oder
auch nur bemerkt, leise zu sterben, vermutlich, weil ich zu oft mit
Sartre-Zitaten um mich geworfen habe. Wer will das schon die ganze Zeit über
hören? Da kann man sie verstehen, die Anderen. Doch inzwischen weiß ich es
besser. Die Hölle ist ein Kleinbus angefüllt mit Schlafsäcken und Kindern im
Hochsommer.
Ich hatte das Wochenende außerhalb der Stadt am See verbracht und eine befreundete
Familie bot an, mich bis zur Haltestelle Grenzallee mitzunehmen. Und nun sitze
ich hier, zwischen allerlei Campingutensilien in absonderlichen Winkeln zur
Bewegungslosigkeit verdammt und lausche dem leisen Brutzeln unserer
Oberschenkel auf dem Kunstlederbezug der Rückbank. Es riecht nach Angst und Speck.
Heiß ist es, oh ja! Doch nicht das ist es, was mich glauben lässt, kleine
Teufelchen würden gleich kommen, um mich mit ihren Dreizacken wie Spagetti
aufrollen. Nein, die Hölle, das ist Bärtram der Bär.
„Können wir Bärengeschichten hören?“, fragt das mittlere Kind. Kurz sehe ich es
in den Augen des Vaters blitzen, so als erwöge er ernsthaft, seinen Wagen
einfach hier und jetzt um den nächsten Baum zu wickeln, doch seine Frau ist
schneller am Autoradio, als er auf dem Gaspedal.
Bärtram der Bär ist Protagonist einer derart debilen Hörspielreihe, dass sich
Benjamin Blümchen dagegen intellektuell wie eine Heidegger Gesamtausgabe auf
Altaramäisch ausnimmt. Wenn es ein Gegenteil von Abenteuer gäbe, keine bloße
Langeweile, sondern ein Ereignis, ein Event, das den Status Quo nicht nur nicht verändert, sondern ihn zementiert
und mit Stahlträgern fest im Boden verankert, dann wäre es genau das, was
Bertram so passiert. Nämlich nichts. Nichts in bekömmliche fünf
Minuten-Häppchen portioniert.
In der einen Geschichte lauscht Bertram beispielsweise dem Meeresrauschen in
einer Muschel und geht dann wieder nach Hause.
In der nächsten, die Nerven ausleiernden Episode geht Bärtram mit seinen
kleinen Freunden Bärta, Bärbel und Bärlauch zum Spielplatz und dann wieder nach
Hause. In der dritten Story beschließt unser haariger Held, seiner Mutter einen
Geburtstagskuchen zu backen, kleckert dabei die Küche voll, worüber Bärenmutti
aber großzügig hinwegsieht. Beide sind bereits zuhause.
Wow.
Kinder sind dumm. Man kann das ruhig so sagen. Kinder fassen
nach heißen Herdplatten und glauben tatsächlich, ihre Eltern wüssten auch nur
im Ansatz, was sie da eigentlich tun. Kinder sind dumm, aber das ist ok, denn niemand
verlangt von ihnen, einen Bildungsroman zu schreiben und die meisten bemühen
sich zumindest, was mehr ist, als ich über so manchen Erwachsenen sagen kann. Es
ist unsere Aufgabe, sie zu lehren, zu leiten, ihnen ein Vorbild zu sein, sie zu
fördern und zu fordern. Doch graust es mir vor den Männern und Frauen von Übermorgen,
denen heute beigebracht wird, ja, mal hübsch nach Hause zu gehen. Passive
Nesthocker werden sie sein. Flauschig und hilflos werden sie sein, wie Kätzchen
im Trockner. Und ihre einzige Waffe werden ihre alliterativen Namen sein, mit
denen Sie Fressfeinde zum lachen bringen können! Beauregard der Bonobo. Gertrude
Grottenolm. Wenn man es richtig elitär mag, kann man auch noch ein Adjektiv hinzufügen.
Dann bekommt man Otti den oszillierenden Ozelot und beherrscht die ganze, elende
Nordhalbkugel! Nur das wäre dann ja schon wieder kreativ und mutig und was
bitte sollen wir mit kreativen und mutigen Leuten anfangen?
Der älteste Sohn fragt: „Können wir Radio Teddy hören?“
Ich vermute, dass ihm der ganze fusselige Bärenmist ob meiner Gegenwart
zumindest latent peinlich ist, werde dann aber schnell eines Besseren belehrt.
Es gibt einen Comic, in dem Batman und Superman zu einem einzigen Wesen verschmolzen
werden. Das Ergebnis ist dabei nicht etwa ein superstarker Fledermausmann mit Laserblick
und homoerotischen Untertönen, was absolut awesome
wäre, sondern ein Mann, der auf der rechten Seite Batman und auf der linken
Superman ist. Auf der rechten Seite Batman, auf der linken Seite Superman. Als
hätte man sie mit einem Messer in der Mitte glatt geteilt und dann mit Uhu
falsch herum wieder zusammengefügt. Radio Teddy folgt diesem Beispiel, denn es
sendet zur einen Hälfte Kinderlieder und zur anderen kontemporäre Popmusik und
zielt damit direkt auf entnervte Väter, für die gegenüber Bärengeschichten
selbst eine Prostata-Untersuchung mit kalten Fingern eine signifikante
Verbesserung darstellt. Beschließe, Radio Teddy fortan Radio Kleineres Übel zu
nennen. Stelle fest, dass kontemporäre Popmusik genau wie Kinderlieder klingt.
Zuerst hören wir ein Lied über Emma die Ente, die stets verpennte und niemals
pünktlich war. Dann „So soll es bleiben“ von Ich und Ich. Beide Lieder klingen
genau gleich. Hier, ein Textauszug aus „Emma die Ente“:
Ich warte schon so lange
auf den einen Moment
Ich bin auf der Suche
nach 100%
Wann ist es endlich richtig?
Wann macht es einen Sinn?
Ich werde es erst wissen
wenn ich angekommen bin
Und nun zum Vergleich ein Paar Zeilen von Ich und Ich:
Quak, quak, quak, quak.
Die Sonne scheint. Der Sohn scheint zufrieden. Der Vater scheint innerlich tot. Ich beneide ihn, denn das hier, das ist die Hölle.
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