„Ich bin der mächtige Broiler-Man!“
schallt es mir aus dem Treppenhaus entgegen.
Manche Dinge sind unausweichlich.
Das Verglühen der Sterne beispielsweise. Den Kühlschrank endlich mal
auswischen, wobei ich noch nicht weiß, ob das vor oder nach der Sache mit den
Sternen stattfinden wird, aber stattfinden wird es wohl. Und natürlich
Junggesellenabschiede.
Hätte man mich letztes Jahr
gefragt, wie denn mein Junggesellenabschied ausfallen soll, dann hätte ich
wahrscheinlich „Ja, genau, bitte ausfallen lassen.“ geantwortet. Denn ich hatte
weder vor zu heiraten, noch mich in der Öffentlichkeit demütigen zu lassen.
Ich mag sie nicht so recht leiden,
diese Gruppen lauter Männer, die in ihren schwarzen
JGA-Copyshop-Einheits-T-Shirts eher wie eine paramilitärische Kommando-Einheit
wirken, denn wie eine Party, wenn sie angestrengt schwitzend und grölend durch
die S-Bahn walzen. Da fehlt es mir dann auch an Mitleid für den Bräutigam,
leicht zu erkennen an der falschen Eisenkugel, die ihm jemand in einem Ausbruch
ungezügelter Originalität an den Knöchel gelötet hat.
Ich verstehe sie nicht, diese
Glitzer-Geschwader von Bauchladen-Trullas und Prosecco-Prinzessinnen, die mit
ihren Diademen und diadämlichen rosafarbenen JGA-Copyshop-Einheits-T-Shirts
immer so wirken, als sei Cindy aus Marzahn endlich in ihre Einzelteile
zerfallen.
Als man mich vor 3 Monaten dann
tatsächlich fragte, wie mein Junggesellenabschied denn so werden soll, wollte
ich dementsprechend sagen: „Ihr habt ja wohl den Arsch offen.“, doch irgendeine
mir unbegreifliche, bis dato gut versteckte Kraft, wahrscheinlich was mit
dunkler Materie, zwang mich stattdessen zu den Worten: „Ach, lasst uns doch
einfach irgendwo einen trinken gehen. Kickern, Kichern, früh ins Bett.
Hauptsache keine albernen Kostüme.“
Natürlich wusste ich schon während
die letzte Silbe noch von meinen Lippen glitt, dass es alberne Kostüme geben
würde. Mein Schicksal war besiegelt, das Unausweichliche würde geschehen.
„Ich bin der mächtige Broiler-Man!“
verkündet Andreas' brummige Stimme erneut. Tatsächlich, er ist Broilerman.
Er hat ein rotes Cape, ein ausgeschnittenes Broilerfoto auf der Brust und über
jeder Hand eine dieser seltsamen Papiermanschetten, mit denen man Brathähnchen
früher verzierte, damit die Vogelleichen etwas verspielter aussehen, und welche
er nun heldenhaft in die Hüfte stemmt, also die Manschetten, nicht die
Vogelleichen.
Hinter ihm kann ich weitere
Gestalten in aus Haushaltsgegenständen selbstgebastelten Kostümen nacheinander
die Treppe herauftrotten sehen. Michael, der sich aus einem alten Lappen eine
Maske geschnitzt und grüne Mopfransen auf den Schultern festgenäht hat, sagt,
er sei Feldmarschall Feudel und würde hier mal ordentlich mit dem
Verbrechen aufräumen.
Sarah stellt sich als Fliegenklatschenmangirl
vor und verklatscht dazu wild fuchtelnd schurkische Stubenfliegen. Heiko hat
sich eine blau-weiße Tischdecke um den Hals geknotet
und ist für den Rest des Tages Conan
the Bavarian. Jan nennt sich El Buffo, dem das Hanf die Fähigkeit
zum Flug verliehen hat, und Denise ist der MEGASHARK, denn sie hat sich
aus weißen Stoffresten kleine Dreiecke geschnitten und diese dann als Zähne an
der Innenseite der Kapuze ihres grauen Sweatshirts befestigt.
Um der Wahrheit
die Ehre zu geben sieht sie damit nicht unbedingt wie ein Hai aus, sondern wie
ein wütender Pullover, was allerdings meiner bescheidenen Meinung nach auch die
deutlich überlegenere Superheldenidentität wäre. Sähe ein Bankräuber vor seiner
Bank plötzlich einen Hai liegen , er würde sich sicherlich mal kurz
erschrecken, dann aber sowas sagen wie: „Na, Hai, verreckste an der frischen
Luft, wa? Na komm, schwimm uns doch nach, Hai. Kannste nich, wa? Arsch-Hai!“
Jedoch von einem Pullover gebissen zu werden, ließe auch den abgebrühtesten
Schurken bis tief ins Mark erschüttert zurück. Das eiserne Monokel für
überbordende Kreativität verleihe ich Gedanken aber Daniel, der sich als
Weihnachtsmannman verkleidet hat. Er trägt Mütze, ein rotes Shirt mit einem
selbstgemalten W darauf, einen einzelnen Boxhandschuh und eine durchsichtige
Plastiktüte voller Wattebäusche als Bart.
Er sagt, seit er von einem
radioaktiven Weihnachtsmann gebissen wurde, verfüge er über die proportionale
Stärke und Schnelligkeit eines Weihnachtsmannes, was aber, da er kleiner als
der durschnittliche Weihnachtsmann ist, bedeutet, dass seine Superkraft darin
besteht, geringfügig weniger stark als ein Weihnachtsmann zu sein. „Krass.“,
sage ich. „Ich schenke dem Verbrechen voll ein.“, sagt Daniel und überreicht
mir dazu ein Geschenk. „Das ist dein Kostüm.“, sagen sie alle wie im Chor. Sie
müssen das vorher heimlich geübt haben. Ich öffne das Geschenk von der Seite
her, greife hinein und ziehe einen roten Satinknäuel mit rosa Spülschwämmen
darauf hervor.
„Das ist dein Cape.“ Ich nicke
unverbindlich. „Du bist El Klugo. Und die Spülschwämme sind deine beiden
Extragehirne, die dir übermenschliche Klugheit verleihen.“, sagen sie immer
noch gleichzeitig. Es wird mir unheimlich.
„Und der Blitz hinten drauf?“,
frage ich.
„Das ist ein Gedankenblitz.“,
erklärt man mir.
„Und die Sonnenbrille mit den
aufgeklebten Strasssteinen?“, frage ich weiter.
„Die sieht hauptsächlich cool
aus.Ohne die Brille käme das Kostüm ganz schön albern rüber.“
Zu den wunderbarsten Eigenarten
Berlins gehört sicherlich die Tatsache, dass man schon mindestens brennen muss,
um auf der Straße auch nur beäugt zu werden. Und unter all den
unerschütterbaren Bewohnern dieser Stadt ist der Spätiverkäufer der
allerunerschütterbarste.
Andere müssen sich wenigstens noch
irgendwohin bewegen, aber der Spätiverkäufer steht einfach nur hinter seinem
Tresen und beobachtet stumm, wie Berlins Fluten ihr Treibgut Nacht für Nacht zu
ihm herein schwemmen. Er hat alles gesehen und das meiste sogar zwei mal. So
verzieht er dann auch keine Mine, als wir sein Etablissement betreten und uns
vor ihm in eine heldenhafte Gruppenpose werfen.
Er lässt seinen Blick langsam über
uns hinwegwandern, lässt unsere farbenfrohe Mimikry, unsere schillernde
Erscheinung auf sich wirken, schürzt die Lippen und sagt schließlich, als wir
es kaum noch aushalten können:
„Fashionweek?“ Wir schütteln die
Köpfe.
„Christopher Street Day?“ Wir
schweigen.
„Ah, dann ist es ein
Junggesellenabschied.“
„Wir sind die GERECHTIGKEITSLIGA
VON NEUKÖLLN!“, rufe ich. „Und wir wollen Bier!“
„Und Gerechtigkeit!“, fügt Feldmarschall
Feudel hinzu.
„Ich bin der mächtige Broilerman!“,
vervollständigt der mächtige Broilerman unsere Bestellung.
„Ein Kasten Gerechtigkeitsbrause.
Alles klar.“, sagt der Spätiverkäufer ungerührt und verschwindet im Lager.
„Weißt du,“, sagt Heiko draußen auf
den Stufen sitzend zu mir. „Ich könnt' das ja nicht. Mich ewig binden und so.
Halt ich auch für Quatsch, die Ewigkeit. Wo soll man auch hin damit? Ist doch
gar kein Platz für da. Hast du keine Angst, dass irgendwann einfach Schluss
ist?“
„Um sich der Ewigkeit zu stellen,
braucht es schon einen Helden,“, antworte ich und rücke meine beiden
Zusatzgehirne zurecht. Dann nehme ich einen tiefen Schluck aus der Flasche und
führe meine Kameraden in die vor uns liegende Dämmerung. Berlin kann heute
Nacht ruhig schlafen, denn wir werden es nicht.
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