Montag, 17. Februar 2014

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Über Helden


„Ich bin der mächtige Broiler-Man!“ schallt es mir aus dem Treppenhaus entgegen.
Manche Dinge sind unausweichlich. Das Verglühen der Sterne beispielsweise. Den Kühlschrank endlich mal auswischen, wobei ich noch nicht weiß, ob das vor oder nach der Sache mit den Sternen stattfinden wird, aber stattfinden wird es wohl. Und natürlich Junggesellenabschiede.
Hätte man mich letztes Jahr gefragt, wie denn mein Junggesellenabschied ausfallen soll, dann hätte ich wahrscheinlich „Ja, genau, bitte ausfallen lassen.“ geantwortet. Denn ich hatte weder vor zu heiraten, noch mich in der Öffentlichkeit demütigen zu lassen.

Ich mag sie nicht so recht leiden, diese Gruppen lauter Männer, die in ihren schwarzen JGA-Copyshop-Einheits-T-Shirts eher wie eine paramilitärische Kommando-Einheit wirken, denn wie eine Party, wenn sie angestrengt schwitzend und grölend durch die S-Bahn walzen. Da fehlt es mir dann auch an Mitleid für den Bräutigam, leicht zu erkennen an der falschen Eisenkugel, die ihm jemand in einem Ausbruch ungezügelter Originalität an den Knöchel gelötet hat.
Ich verstehe sie nicht, diese Glitzer-Geschwader von Bauchladen-Trullas und Prosecco-Prinzessinnen, die mit ihren Diademen und diadämlichen rosafarbenen JGA-Copyshop-Einheits-T-Shirts immer so wirken, als sei Cindy aus Marzahn endlich in ihre Einzelteile zerfallen.
Als man mich vor 3 Monaten dann tatsächlich fragte, wie mein Junggesellenabschied denn so werden soll, wollte ich dementsprechend sagen: „Ihr habt ja wohl den Arsch offen.“, doch irgendeine mir unbegreifliche, bis dato gut versteckte Kraft, wahrscheinlich was mit dunkler Materie, zwang mich stattdessen zu den Worten: „Ach, lasst uns doch einfach irgendwo einen trinken gehen. Kickern, Kichern, früh ins Bett. Hauptsache keine albernen Kostüme.“
Natürlich wusste ich schon während die letzte Silbe noch von meinen Lippen glitt, dass es alberne Kostüme geben würde. Mein Schicksal war besiegelt, das Unausweichliche würde geschehen.

„Ich bin der mächtige Broiler-Man!“ verkündet Andreas' brummige Stimme erneut. Tatsächlich, er ist Broilerman. Er hat ein rotes Cape, ein ausgeschnittenes Broilerfoto auf der Brust und über jeder Hand eine dieser seltsamen Papiermanschetten, mit denen man Brathähnchen früher verzierte, damit die Vogelleichen etwas verspielter aussehen, und welche er nun heldenhaft in die Hüfte stemmt, also die Manschetten, nicht die Vogelleichen.
Hinter ihm kann ich weitere Gestalten in aus Haushaltsgegenständen selbstgebastelten Kostümen nacheinander die Treppe herauftrotten sehen. Michael, der sich aus einem alten Lappen eine Maske geschnitzt und grüne Mopfransen auf den Schultern festgenäht hat, sagt, er sei Feldmarschall Feudel und würde hier mal ordentlich mit dem Verbrechen aufräumen.
Sarah stellt sich als Fliegenklatschenmangirl vor und verklatscht dazu wild fuchtelnd schurkische Stubenfliegen. Heiko hat sich eine blau-weiße Tischdecke um den Hals geknotet
und ist für den Rest des Tages Conan the Bavarian. Jan nennt sich El Buffo, dem das Hanf die Fähigkeit zum Flug verliehen hat, und Denise ist der MEGASHARK, denn sie hat sich aus weißen Stoffresten kleine Dreiecke geschnitten und diese dann als Zähne an der Innenseite der Kapuze ihres grauen Sweatshirts befestigt. 
Um der Wahrheit die Ehre zu geben sieht sie damit nicht unbedingt wie ein Hai aus, sondern wie ein wütender Pullover, was allerdings meiner bescheidenen Meinung nach auch die deutlich überlegenere Superheldenidentität wäre. Sähe ein Bankräuber vor seiner Bank plötzlich einen Hai liegen , er würde sich sicherlich mal kurz erschrecken, dann aber sowas sagen wie: „Na, Hai, verreckste an der frischen Luft, wa? Na komm, schwimm uns doch nach, Hai. Kannste nich, wa? Arsch-Hai!“ Jedoch von einem Pullover gebissen zu werden, ließe auch den abgebrühtesten Schurken bis tief ins Mark erschüttert zurück. Das eiserne Monokel für überbordende Kreativität verleihe ich Gedanken aber Daniel, der sich als Weihnachtsmannman verkleidet hat. Er trägt Mütze, ein rotes Shirt mit einem selbstgemalten W darauf, einen einzelnen Boxhandschuh und eine durchsichtige Plastiktüte voller Wattebäusche als Bart. 

Er sagt, seit er von einem radioaktiven Weihnachtsmann gebissen wurde, verfüge er über die proportionale Stärke und Schnelligkeit eines Weihnachtsmannes, was aber, da er kleiner als der durschnittliche Weihnachtsmann ist, bedeutet, dass seine Superkraft darin besteht, geringfügig weniger stark als ein Weihnachtsmann zu sein. „Krass.“, sage ich. „Ich schenke dem Verbrechen voll ein.“, sagt Daniel und überreicht mir dazu ein Geschenk. „Das ist dein Kostüm.“, sagen sie alle wie im Chor. Sie müssen das vorher heimlich geübt haben. Ich öffne das Geschenk von der Seite her, greife hinein und ziehe einen roten Satinknäuel mit rosa Spülschwämmen darauf hervor.
„Das ist dein Cape.“ Ich nicke unverbindlich. „Du bist El Klugo. Und die Spülschwämme sind deine beiden Extragehirne, die dir übermenschliche Klugheit verleihen.“, sagen sie immer noch gleichzeitig. Es wird mir unheimlich.
„Und der Blitz hinten drauf?“, frage ich.
„Das ist ein Gedankenblitz.“, erklärt man mir.
„Und die Sonnenbrille mit den aufgeklebten Strasssteinen?“, frage ich weiter.
„Die sieht hauptsächlich cool aus.Ohne die Brille käme das Kostüm ganz schön albern rüber.“
Zu den wunderbarsten Eigenarten Berlins gehört sicherlich die Tatsache, dass man schon mindestens brennen muss, um auf der Straße auch nur beäugt zu werden. Und unter all den unerschütterbaren Bewohnern dieser Stadt ist der Spätiverkäufer der allerunerschütterbarste.

Andere müssen sich wenigstens noch irgendwohin bewegen, aber der Spätiverkäufer steht einfach nur hinter seinem Tresen und beobachtet stumm, wie Berlins Fluten ihr Treibgut Nacht für Nacht zu ihm herein schwemmen. Er hat alles gesehen und das meiste sogar zwei mal. So verzieht er dann auch keine Mine, als wir sein Etablissement betreten und uns vor ihm in eine heldenhafte Gruppenpose werfen.
Er lässt seinen Blick langsam über uns hinwegwandern, lässt unsere farbenfrohe Mimikry, unsere schillernde Erscheinung auf sich wirken, schürzt die Lippen und sagt schließlich, als wir es kaum noch aushalten können:
„Fashionweek?“ Wir schütteln die Köpfe.
„Christopher Street Day?“ Wir schweigen.
„Ah, dann ist es ein Junggesellenabschied.“
„Wir sind die GERECHTIGKEITSLIGA VON NEUKÖLLN!“, rufe ich. „Und wir wollen Bier!“
„Und Gerechtigkeit!“, fügt Feldmarschall Feudel hinzu.
„Ich bin der mächtige Broilerman!“, vervollständigt der mächtige Broilerman unsere Bestellung.
„Ein Kasten Gerechtigkeitsbrause. Alles klar.“, sagt der Spätiverkäufer ungerührt und verschwindet im Lager.
„Weißt du,“, sagt Heiko draußen auf den Stufen sitzend zu mir. „Ich könnt' das ja nicht. Mich ewig binden und so. Halt ich auch für Quatsch, die Ewigkeit. Wo soll man auch hin damit? Ist doch gar kein Platz für da. Hast du keine Angst, dass irgendwann einfach Schluss ist?“

„Um sich der Ewigkeit zu stellen, braucht es schon einen Helden,“, antworte ich und rücke meine beiden Zusatzgehirne zurecht. Dann nehme ich einen tiefen Schluck aus der Flasche und führe meine Kameraden in die vor uns liegende Dämmerung. Berlin kann heute Nacht ruhig schlafen, denn wir werden es nicht.

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