1.
Stinken. Endlich kann ich ein mal wieder so richtig stinken.
Vom Joch der tagtäglichen Vorzeigbarkeit entbunden, finde ich
wieder zu mir selbst und habe die Suche von der der Nase her
begonnen. Die Blumen auf dem Balkon wenden sich nicht mehr der Sonne
zu, sondern von mir ab. Was mich aufrecht hält ist nicht etwa der
letzte Rest meiner Würde, sondern der von Tag zu Tag steifer
werdende Reifegrad meiner Schlafanzughose und Hunde fühlen sich von
meiner bloßen Gegenwart beleidigt.
2.
Masturbation. Durch vier Jahre fortgesetzten Arbeitens habe
ich den Anschluss an die Trends und Techniken der
Gegenwartspornografie vollkommen verloren. Nun kann ich den
verpassten Stoff in kompakten 6-Stunden-Seminaren nachholen. Während
ich auf die Wirkung der entzündungshemmenden Salbe warte,
reflektiere ich über das Gesehene. Sehr gefällt mir beispielsweise
der neue, kosmopolitische Bildungsanspruch der Fickfilmchen. Denn
nichts lässt meinen inneren Berlinale-Juror mehr frohlocken, als
den vielfach zitierten Monolog „Bück dich, ich bin Modelscout!“
im tschechischen Original mit englischen Untertiteln zu genießen.
3.
Bewerbungen schreiben. Wenig ist mehr dazu angetan, mein
durch die Kündigung lädiertes Selbstbewusstsein wieder
aufzurichten, als zu lesen, was über mich in meinen Bewerbungen
steht. Natürlich hübscht sich ein jeder verbal etwas auf, wenn es
darum geht, bei zukünftigen Chefs Eindruck zu schinden. Das ist ja
ganz normal und üblich. Da muss man als Personalleiter einfach in
Gedanken 10 % von abziehen. Um diese alte Faustregel zu überlisten,
bin ich dazu übergegangen, beim Angeben einfach gleich 20 %, drauf
zu schlagen. 30 %, 35 %, wenn ich gute Laune habe! Am besten
funktioniert es, Dinge zu behaupten, die sich unmöglich nachprüfen
lassen. So steht in der letzten Version meines Lebenslaufes, ich
würde das Dyxalaphon spielen und könnte das Giraffapotomus reiten.
Außerdem habe ich den violett geblümten Gürtel im
Starkstrom-Karate und sehr gute Verbindungen ins kriminelle Millieu.
4.
Schimpfen. Von der arbeitnehmenden Bevölkerung wird
gemeinhin ein Mindestmaß an Umgangsformen erwartet. Dazu gehören,
unter Anderem, das Heben von Hüten in Anwesenheit von Damen sowie
das Unterlassen von Hutklau, sollte eine Dame einmal den Raum
betreten, man selbst aber gerade keine Kopfbedeckung parat haben.
In
einem solchen Fall gilt es seit dem zweiten Vatikanischen Konzil als
aktzeptabel, sich einige Haare aus dem Skalp zu rupfen und diese
dann als Rauchopfer zu verbrennen oder der Dame zur Kompensation
einen Teller Eier mit Senfsauce anzubieten. Von mir hingegen
erwartet niemand mehr was. Ich bin arbeitslos und damit in die
katakombenhaften Gewölbe unterhalb der Mittelschicht abgerutscht,
wo wir uns von unseren Erinnerungen an bessere Tage und den wenigen
Tropfen schmutzigen Wassers, das am nicht minder schmutzigen Putz
herabrinnt, ernähren. Aber wenigstens darf man schimpfen. Gestern
erst habe ich mich in einer Sparkassenfiliale einschließen lassen,
um nachts die Putzkolonne mit meinen Vorwürfen konfrontieren zu
können. „Bonzen“ nannte ich die Gruppe angegrauter Damen. „Gut
betucht!“ spie ich es ihnen entgegen und deutete dabei auf ihre
bunten Kopftücher. „Ihr wisst ja gar nicht, wie gut ihr es habt!“
brach es aus mir hervor. „Wir nix Deutsch.“, sagte da die
Oberputze zu mir, die von ihren Untergebenen auf einem gold
lackierten Wischwägelchen sitzend von Raum zu Raum gerollt wurde,
wobei sie die Richtung mit ihrem in Stanniol eingewickelten
Besenstiel vorgab.
„Wir nix Deutsch. Wir Tschechei.“, sagte sie. „Bück dich, ich bin Modelscout“, sagte ich, weil das der
einzige Satz war, den ich auf Tschechisch konnte und es im Kontakt
mit unseren ausländischen Mitbürgern immer gut kommt, einige
ausgewählte Worte in ihrer Landessprache sagen zu können.
5.
Meiner Frau erklären, warum ich stinke.
6.
Meiner Frau erklären, warum ständig alte Tschechinnen an
unserer Tür klingeln, um dann aufreizend mit Fotos und ihrem Schinken vor uns herzuwackeln. Wenn
hier von ihrem Schinken die Rede ist, dann ist damit selbstredend
der berühmte tschechoslowakische Bestechungsschinken gemeint,
welcher seit dem Prager Fenstersturz traditionell aus korrupten
Schweinen hergestellt wird, nicht was Sie jetzt denken, Sie Ferkel.
7.
Selbstmitleid. In einer Gesellschaft, die auf der Stärke des
Einzelnen ebenso sehr fußt, wie auf der Stärke der Gemeinschaft,
sind die Gelegenheiten, Schwäche zeigen zu dürfen selten geworden.
Umso mehr genieße ich es, nun unkontrolliert und frei weinen zu
können. Am liebsten weine ich in öffentlichen Verkehrsmitteln. In
Bussen kollidiert die Weigerung der Reisenden, die Existenz anderer
Menschen auch nur als Möglichkeit anzuerkennen, mit dem tiefen
Unwohlsein, dass nur entsteht, wenn die Tränen, welche deine Hose
durchnässen nicht die eigenen sind. Vor allem junge Eltern
verfallen dann schnell auf die Taktik mich mit kleinen Geschenken
beruhigen zu wollen. Allein auf dem Weg hierher habe ich so ein
halbes Leberwurstbrot und eine Schachtel TicTacs abgestaubt. Schon
toll, so eine Arbeitslosigkeit. Eigentlich fällt auch dieser Text
in die selbe Kategorie, denn wir alle wissen, dass Sie ihn nur aus Mitleid lesen, aber wir alle werden trotzdem so tun, als
wäre es nicht so.
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