Montag, 3. März 2014

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Über Egomarketing


















„Ich komme da nicht mehr drauf klar. Also auf alles. Oder zumindest doch das Meiste. Und am allermeisten wenigsten auf  diese ganzen Menschen da. Die, die, die sind so … ECHT.“, sagt Heiko. Ich frage ihn, wo genau er das Problem mit der Echtheit der Menschen sehe. Sage, dass ich die Echtheit der Menschen zumeist ganz praktisch finde. Es ist doch schön, davon ausgehen zu können, nicht wie ein Gespenst durch jemanden hindurch rauschen zu müssen, wenn man ihn küssen oder kraftvoll treten möchte. Schön sei das doch.


Es war ein langer Tag und ein langer Weg hierher, auf diesen Balkon zwischen einem verkrusteten Grillrost und Setzkästen voller Petersilie. Die späte Junisonne gibt ihr Letztes und Heiko öffnet sich ein neues Bier mittels einer Tulpenzwiebel, was ich voll Bio finde. Manchmal überrascht er mich noch.  „Nein“, sagt er. Es ginge ihm natürlich nicht um die physische Echtheit, sondern um dieses seltsame gesellschaftliche Konstrukt namens Authentizität.
„Authentizität! Authentizität!“, keift er über die Brüstung in den lauen Abend. „Überall nur noch authentische Menschen, überall nur noch echtheitszertifizierte, garantiert authentische Persönlichkeiten!“ Die Silben des Wortes Persönlichkeiten spuckt Heiko mehr, als das er sie spricht und durch die in der Luft hängenden Biertropfen bricht sich der Welt hässlichster Regenbogen seine Bahn, aber Heiko bemerkt es gar nicht. Ebenso wenig wie ich das Problem, das er mit echten Menschen hat. Ich finde es gut, wenn die Leute mehr sie selbst sind. „Sie selbst! Sie selbst!“ retouniert er meinen Einwurf. „Das ist ja der Denkfehler! Du glaubst also, dass a) jemand authentisch sei, sobald derjenige sich selbst entspräche und, dass b) das dann automatisch gut sei? Stellen wir uns folgenden Dialog vor:„So Herr Liebescheid, sie quälen also Robbenbabys und Giraffen. Aus Langeweile oder Überzeugung?  Überzeugung. Ja, dann ist ja alles klärchen.“

Ich sage dir, ein echtes Arschloch bleibt trotzdem ein Arschloch. Und da fängt der Spaß ja auch erst an. Nicht nur, dass wir als Gesellschaft die Echtheit ihrer Mitglieder zum Qualitätsmerkmal erkoren haben. Nein, wir legen in der Bewertung auch völlig willkürliche Maßstäbe an. Wenn Pete Doherty während eines Interviews aus seiner gerade erst benutzten Heroin-Spritze sein eigenes Blut in die Kamera spritzt, finden wir das cool, weil wir in Wirklichkeit selber gerne die Eier hätten, mal unser Blut irgendwo hin zu spritzen. Ja das mit dem Heroin ist schon irgendwie blöd, aber gerade der Fehler, der Sprung in der Rüstung, macht ja das authentische aus. Wenn wir hingegen einen Vertreter von industriell gefertigten, malvenfarbenen Pollundern sehen, dann denkt keiner: „Wie schön, dass da jemand seine Liebe zu malvenfarbenen Textilien verwirklicht hat. Sicherlich bereitet ihm die Unterscheidung verschiedener Garndichten ein sinnliches Vergnügen.“Wir wollen die Authentizität als Totem. Wir finden es gut, wenn Menschen mal was ganz was Verrücktes machen, solange es sich innerhalb dessen abspielt, was wir uns unter ganz was Verrücktes vorstellen können. Denn dann sind quasi alle stellvertretend so ein kleines bisserl crazy und casual und wir haben bei Taff gehört, dass das gut sei. Für wen weiß keiner so genau, aber wir nehmen mal an für die Konjunktur, weil es ja auch sonst immer darum geht, was gut für die Konjunktur ist und was nicht.Also ich glaube, ja, hörst du mir zu, ich glaube, dass liegt an der Freiheit. Ja mein Freund, an der Freiheit. Wir haben die beschissene Wahl. Wir können heute alles sein, was wir wollen und sind dann heillos überfordert mit dem Egomarketing, der Erschaffung einer Idealidentität, einer möglichst einzigartigen Schöpfung, weil wir uns haben einreden lassen, dass es wir nur solange existieren, bis wir eines Tages unserem Doppelgänger begegnen. Das ist wie Zurück in die Zukunft, nur mit mehr Vintage und weniger Zeitreisen. 

Und wo suchen wir die Einzigartigkeit? Bei H&M oder auf dem Flohmarkt, wo wir dann um die abgelegte Originalität der Anderen feilschen.  Hey Kumpel, weißt du, was das wirklich Ätzende an der Authentizität ist?“, höre ich Heiko fragen. Ich antworte nicht, weil ich erstens ein wenig Angst vor ihm bekommen habe, zweitens genervt von der Häufung des Wortes „Authentizität“ bin und drittens gerade versuche, selber ein Bier mit einer Tulpenzwiebel zu öffnen. Das ist schwieriger, als es aussah, aber Heiko ist ohnehin längst über das in seinem Fall kleine Stadium hinaus, in dem er sich auch nur einen feuchten Kehricht darum schert, wer ihm gerade zuhört.

„Also, das schlimmste ist, dass man sich nicht dagegen wehren kann, authentisch genannt zu werden! Das ist so ein schwammiges Universalkompliment. Das ist wie zu sagen, jemand sei „gepflegt“. So wird noch der hässlichste, dümmste Kanaldeckelficker plötzlich zur echten Type stilisiert. Wenn man nichts nettes über jemanden sagen kann, dann nennt man ihn authentisch, weil niemand aufstehen wird, um laut zu rufen: „Nein, nicht ich! Ich bin alles, ein Schauspieler, ein Lügner, ein Scharlatan und tausend andere üble Dinge, aber ich bin nicht ich!“, doch genau das sollten wir alle aufrichtig über uns selber sagen können.“
Heiko stellt den inzwischen geleerten Bierkasten auf den Kopf und kletter darauf. Dann holt er tief Luft, streckt die Arme von sich und brüllt es in den Innenhof: „ICH WEISS NICHT, WAS ICH BIN!“
Es folgt Stille, durchwoben vom Zirpen der Grillen. Dann ein Ruf von irgendwoher: 
„DU BIST JETZT STILL, SONST KOMM ICK RÜBA!“
Heiko stutzt. Er wankt und einen Augenblick lang scheint es, es würde er gleich vom Bierkasten stürzen. Doch er berappelt sich noch mal und antwortet: 
„DANKE FÜR DEN VORSCHLAG. HAB‘ ICH ABER SCHON  MAL AUSPROBIERT. DAS HAT SICH IRGENDWIE FALSCH ANGEFÜHLT.“

Manchmal überrascht er mich noch.




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