Montag, 14. Juli 2014

Widgets

, , , ,

Über Glauben


„Warum sind wir noch mal hier?“, frage ich.
„Pssst!“, macht Heiko.
„Pssst!“, macht der Pastor.
„Pssst!“, macht die dicke Frau eine Holzbank vor uns, hält dabei ihren ausgestreckten Zeigefinger vor ihre breiten, roten Lippen und verursacht so ein abgefahrenes, beatboxmäßiges Plattennadelscratchgeräusch.
„Psss-wikidiwiki-ssst!“, macht die dicke Frau.
„Wow! Los, machen sie das noch mal!“, sage ich.
„Pssst!“, machen Heiko, der Pastor und die dicke Frau.

Mit Gott ist das so eine Sache. Da gibt es die, die glauben; die, die zu glauben glauben; die, die glauben, dass es eigentlich nicht wichtig ist und Andere, die glauben, Gott führe auf direktem Wege in ihr Wertpapierdepot. Es gibt die, die meinen Gott wohnt zwischen zwei Buchdeckeln, zwischen zwei Takten oder zwischen zwei Brüsten. Es gibt sogar welche, die Gott zwischen drei Brüsten ausgemacht zu meinen haben wollen, wobei ich glaube, dass ich das dann auch so genau gar nicht wissen muss. Es gibt die, die nur an sich selbst glauben, weil sie immer alleine klar kommen mussten. Es gibt die, die an alles und jeden glauben, weil sie immer alleine klar kommen mussten.
Es gibt die, die mit weißglühender Inbrunst so sehr an gar nichts glauben, dass sie es nicht mal mehr  merken, wenn sie den Fundamentalismus schon längst von der anderen Seite her erreicht haben.
Es gibt Leute, die glauben an Jesus, den Propheten, den achtfach gewundenen Pfad zur Verschwurbelung allen Seins und daran, dass man Nudeln nach dem Kochen mit kaltem Wasser abschrecken muss.
Aber, liebe Schafe, schreckt man Nudeln nach
dem Kochen ab, verlieren sie ihre Stärkeschicht, auf dass selbst die schmackhafteste Sauce Bolognese ihres Halts verlustigt geht und statt die Zunge zu erquicken, nur mehr als Element unfreiwilliger Dekoration auf dem Stehkragen zu verenden gezwungen ist. Man schreckt nicht ab, erfüllt einen der Gedanke an klebrige Nudeln auch mit noch so großer Furcht. Man gibt einen Schuss Olivenöl in das siedende Nudelwasser. So oder so können wir festhalten, Glaube hat mit Stärke, Schrecken, Halt und manchmal auch mit Öl zu tun. Mit Gott ist das so eine Sache.

„Ernsthaft, warum sind wir hier?“, versuche ich es erneut.
„Das frage ich mich auch. Ich erlebe gerade eine Glaubenskrise.“, antwortet Heiko.
„Eine Glaubenskrise?“
„Eine Glaubenskrise.“
„Woran glaubst Du denn bitte?“
„An Diverses.“
„An Diverses?“
„Diverses.“
„ … Geht das vielleicht auch ein wenig konkreter?“, bitte ich, mit all der mir zur Verfügung stehenden Zurückhaltung.
„Leider nicht, Religion definiert sich gewissermaßen durch den Mangel an Konkretem.“

Wir schweigen. Soll heißen, Heiko schweigt, ich staune. Ich hatte meinem Freund so einiges zugetraut. Dass er beim Betreten der Kirche das Portal kraftvoll aufstößt, dem Priester einen Kasten Wasser auf den Altar stellt und dann behauptet, er käme vom örtlichen Weingroßhändler und hätte dem Chef ein erstklassiges Angebot zu unterbreiten. Oder Steuerhinterziehung. So was hätte ich mir vorstellen können, aber keine Spiritualität, keinen Draht nach oben oder nach dahinter, ist der glaube an Gott doch in erster Linie das Eingeständnis der eigenen Grenzen. Das Anerkennen größerer Mächte und der Wunsch, dass uns diese wohlgesonnen sind. Manche Menschen finden das furchterregend und wieder andere finden darin Hoffnung. Mit Gott ist das so eine Sache.

„Also,...“, versuche ich es noch einmal. „Auf dem Weg zu McDonald's hinterfragst du spontan deine klerikalen Ansichten; wobei ich nicht weiß, ob es mich mehr überrascht, dass du nun über klerikale Ansichten oder die Fähigkeit zum Hinterfragen verfügst; und betrittst zu diesem Anlass  das erstbeste Gotteshaus, dessen du ansichtig wirst, obwohl du, meines Wissens, noch nie Interesse an irgendeiner Form von organisierter Frömmigkeit gezeigt hast?“
„Das war aber ein langer Satz.“, versucht er abzulenken.
„Jetzt lenk nicht ab!“, flüstere ich zischend zu ihm herüber.
„Ja, so in etwa. Wenn ich mit jemandem über Grillfleisch reden will, gehe ich zum Fleischer. Und wenn ich über meine Steuererklärung reden will, gehe ich zum Finanzamt. Und keiner von beiden will wissen, warum ich früher noch nie da war.“
„Auch nicht das Finanzamt?“, hake ich nach.
„Gut, schlechtes Beispiel.“
„Und war es denn wirklich notwendig, beim Hereinkommen laut „Ach du heilige Scheiße Allmächtiger, dein Spiel ist aus!“ zu rufen?“
„Warum denkt eigentlich jeder, dass Sinnkrisen keinen Spaß machen dürfen?“, bekomme ich zu hören.
„Dir ist bewusst, dass hier gerade eine Hochzeit stattfindet?“
„Psssst!“, macht der Bräutigam.
„Psssst!“, machen Heiko und ich.
„Psssst!“, macht der Pastor.
„Kann mir mal wer ein Taschentuch bringen? Der Pastor hat mich angespuckt.“, ruft ein gebrechlich wirkender Mann im schlecht sitzenden Anzug.
„Hier, Papa.“, sagt die Braut und zieht ein Tempo aus ihrem Ausschnitt, das offensichtlich für Tränen bestimmt war, aber man ist ja flexibel.

Ein wenig später, als Wogen geglättet und Revers trocken gerieben sind, fordert man uns zum singen auf. Ich bleibe alle paar Worte hängen und beschränke mich letztlich darauf, nur meine Lippen zum Playback der Gemeinde zu bewegen und dafür Stellen, die mir bekannt vorkommen, sehr laut mit zu murmeln. 
Als der zweite Song „Oh, Happy Day“ angestimmt wird, hält es niemanden mehr auf den Sitzen. Um uns herum erheben sich Freunde und Verwandte, begeistert und selbstverloren auf den Fußballen wippend. Einige von ihnen strecken sogar mit geschlossenen Augen ihre Hände dachwärts, ganz so, als könnten sie den Himmel mit den Fingerspitzen berühren. Einen Augenblick lang beneide ich sie und weiß selbst nicht warum. Dann weiche ich nur knapp dem im Rhythmus schwingenden Hintern der dicken Frau aus und bin froh zu sehen, dass wenigstens Heiko sitzen geblieben ist. Lächelnd, es fällt mir schwer, hier nicht das Wörtchen selig zu gebrauchen, dreht er den Kopf zu mir und sagt:
„Sei unbesorgt. Ich habe mit Gott gesprochen. Ich soll dir ausrichten, bleib sitzen, chill mal die Base.“
„Klingt nicht gerade biblisch.“
„Er versucht halt cool rüber zu kommen. Für die jungen Leute, du weißt schon.“
„Finde ich nett, dass er uns noch dazu rechnet … Und hilft's? geht’s dir jetzt besser?“, frage ich vorsichtig.
„Schon. Sag mal, wenn ich jetzt aufspringe und wiederholt „Das Licht, das Licht, ich sehe das Licht!“ rufe, würdest Du dann für mich nach vorne gehen und den Popen zur Rede stellen, ob das Licht denn auch mit Ökostrom betrieben wird?“ Ich nicke. Ich weiß jetzt, alles wird wieder gut. Ich glaube daran.

0 comments:

Kommentar veröffentlichen

ÜBER auf Facebook

Pop! Pop! Populär!

Video of the Day

Flickr Images

Popular Posts