„Bitte die PIN eingeben und dann mit grün bestätigen.“, sagt die Kassiererin, eine wohlgeformte Mittzwanzigerin mit bunten Bildern auf allem, was unter dem Kittel noch von ihrer Haut zu sehen ist und vermutlich auch auf allem, was derzeit der Phantasie vorbehalten bleibt.
„Bitte die PIN eingeben und dann mit grün bestätigen. Bitte
die PIN eingeben und dann mit grün bestätigen.“
Ich kaufe nunmehr
seit über 10 Jahren erfolgreich selbst für mich ein. Ich will nicht
behaupten, dass es nicht hie und da mal zu Missverständnissen
gekommen wäre, dass es bei der mündigen Selbstversorgung für mich
nicht auch Hürden zu überwinden gegeben hätte. Zum Beispiel gibt
es bessere Arten, mit Wasabi Bekanntschaft zu schließen, als die
grüne Paste irrtümlich für einen exotischen Brotaufstrich zu
halten.
Auch hätte ich heute wohl ein entspannteres Verhältnis zu
dem Zeugen Jehovas, der immer am Eingang auf mich wartete und es
wochenlang mit heiligem Ernst ertrug, wenn ich ihn darum bat, für
mich meinen Wagen zu parken. Ich dachte damals, dass der Euro den man
in einen Einkaufswagen hineinsteckt, als Trinkgeld für den
Einparker gedacht wäre und kam mir stets sehr weltmännisch vor,
wenn ich ihm aufmunternd zunickte. Nun ja, man lernt aus seinen
Fehlern.
Das mit dem elektronischen Bezahlen jedoch brauchte ich nicht groß
zu lernen, das hatte ich schon beim ersten Mal auf Anhieb richtig
hinbekommen. Vielleicht habe ich eine Art Talent zum Bezahlen,
entstamme gar einem Geschlecht von altehrwürdigen Bezahlern, oder es
war schlichtes Anfängerglück. Jedenfalls denke ich inzwischen, dass
ich eventuell, möglicherweise, wenn denn der Mond günstig steht,
auch ohne die Anweisung „Bitte die PIN eingeben und dann mit grün
bestätigen.“ zurechtkommen würde.
Legt man vier Einkäufe pro Woche zu Grunde, von denen ich im
Schnitt jeden zweiten per EC-Karte bezahlte, so kommt man auf den
Schätzwert von 1040 von mir erfolgreich durchgeführten
Bezahlvorgängen, allein in Supermärkten. Man läge wohl richtig,
behauptete man, ich hätte mir durch umfangreiche Übung eine gewisse
Kompetenz im Umgang mit der Karte erworben. Und trotzdem befinden es
Kassierer und Kassiererinnen im ganzen Land für notwendig, mich ein
ums andere mal wie ein Kleinkind an die wohlmeinende Hand zu nehmen.
Vielleicht bin ich einfach zu bescheiden, zu wenig funkelnd als Glied
in der goldenen Wertschöpfungskette am Halse der Gesellschaft? Es
gilt ja auch sonst; im Beruf wie im Bett, ein bisschen Show muss
sein! Wenn niemand weiß, dass ich was kann, kann ich es dann? Sollte
ich hier also nach dem Prinzip Steuererklärung verfahren und einfach
mal was wild in die Walachei hinein angeben?
„Bitte die PIN eingeben und dann mit grün bestätigen.“, sagt
die Kassiererin.
Mit dem Daumen schnippe ich die schon meiner rechten Hand
befindliche EC-Karte zwei Meter senkrecht in die Höhe. Hoch oben
unter der Decke reflektiert der kleine Chip das grelle Halogenlicht
über den saisonalen Sauerkraut-Sonderangeboten, blendet so die
Kassiererin sowie die 77-jährige Witwe Bollaschk und den Bier
kaufenden Bauarbeiter hinter mir in der Schlange gerade lange genug,
um unbemerkt in Reihe drei zu schlüpfen, mir dort eine sportliche
Windjacke und eine Quasipilotenbrille aus der Auslage zu nehmen, mir
die Brille aufzusetzen, die Jacke lässig um die Schultern zu knoten,
dann auf dem Weg zurück an die Kasse im Vorbeigehen noch einen
Strauß Rosen abzugreifen bevor ich die immer noch im Flug
befindliche EC-Karte mit der freien Hand hinter dem Rücken auffange,
der Kassiererin die Blumen überreiche und ihr über den Rand der
Brille hinweg intensiv in die Augen blicke, während ich die PIN
eingebe und mit grün bestätige, ohne hin zu sehen! Schließlich
sage ich, so erotisch wie es mir nur irgend möglich ist: „Wenn es
Bestätigung ist, nach der Sie suchen, sind Sie bei mir an der
richtigen Adresse. Sie sind eine schöne Frau und ich bin sicher,
dass es die richtige Entscheidung war, sich eine radioaktive Giraffe
auf die Innenseite Ihrer Oberschenkel tätowieren zu lassen.“ Zumindest stelle ich mir das so vor. Wie schwer kann das schon
sein?
„Bitte die PIN eingeben und dann mit grün bestätigen.“, sagt
die Kassiererin.
Mit dem Daumen schnippe ich die schon meiner rechten Hand
befindliche EC-Karte direkt in das Gesicht der Witwe Bollaschk, wo
sie knapp über dem Nasenbeinansatz etwa zwei Zentimeter tief eindringt
und stecken bleibt. Die Kassiererin schlägt schockiert die Hände
vor ihrem Mund zusammen, der Bauarbeiter fällt in Ohnmacht, nicht
jedoch ohne vorher den Kasten Öttinger aus dem Weg zu schieben und
sich so eine ausreichend große Fläche zum in Ohnmacht fallen zu
schaffen. Alle halten den Atem an. Einzig Witwe Bollaschk kichert
amüsiert vor sich hin. „Keine Sorge, junger Mann. Das sieht
schlimmer aus, als es ist.“, sagt sie und prüft die Wunde
vorsichtig mit den Spitzen ihrer Finger. „Im Alter wird man leider
etwas zerbrechlich. Weich in und an der Birne, hihi. Mein Egon sagte
schon früher immer, ich hätte eine Haut wie ein Pfirsich, aber das
hat er wohl nicht gemeint, hihi.“
„Hihi.“, sagt die Kassiererin
„Ich finde es bewundernswert, mit wie viel Würde sie die
verheerenden Folgen des Alterns ertragen.“, tönt die Stimme des
Bauarbeiters von unten herauf.
„Hihi.“, sagt die Kassiererin, die wohl eine Art Schock
erlitten hat.
„Bitteschön.“, sagt Witwe Bollaschk und reicht mir meine
EC-Karte, die, seltsamerweise, dort wo sie den Schädel penetrierte,
mit einer dicken Staubschicht bedeckt ist.
„Danke.“, sage ich und wende mich erneut dem Kartenlesegerät
zu.
„Hihi.“, sagt die Kassiererin.
Stumm starre ich den Kartenleser an, während der Bauarbeiter sich
auf sehr geräuschvolle Weise aufrappelt.
„Wenn sie Hilfe brauchen, sagen sie's einfach. Ich mache das ja
schon ein bisschen länger als sie.“, bietet mir Frau Bollaschk
ihre Unterstützung an.
„Ich habe meine PIN vergessen.“, sage ich.
„Bitte die PIN eingeben und dann mit grün bestätigen.“, sagt
die Kassiererin, die ihren Abstand auf die Realität offenbar
zumindest ein wenig hat verkleinern können.
Dann schlägt ein Meteor ein und vernichtet Neukölln.
Du hast einen neuen Fan und meinen Tag schöner gemacht, denn ich hab herzlich gelacht. Danke!
AntwortenLöschenDas freut mich sehr!
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