Mittwoch, 30. Juli 2014

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„Bitte die PIN eingeben und dann mit grün bestätigen.“, sagt die Kassiererin, eine wohlgeformte Mittzwanzigerin mit bunten Bildern auf allem, was unter dem Kittel noch von ihrer Haut zu sehen ist und vermutlich auch auf allem, was derzeit der Phantasie vorbehalten bleibt.
„Bitte die PIN eingeben und dann mit grün bestätigen. Bitte die PIN eingeben und dann mit grün bestätigen.“ 
Ich kaufe nunmehr seit über 10 Jahren erfolgreich selbst für mich ein. Ich will nicht behaupten, dass es nicht hie und da mal zu Missverständnissen gekommen wäre, dass es bei der mündigen Selbstversorgung für mich nicht auch Hürden zu überwinden gegeben hätte. Zum Beispiel gibt es bessere Arten, mit Wasabi Bekanntschaft zu schließen, als die grüne Paste irrtümlich für einen exotischen Brotaufstrich zu halten.
Auch hätte ich heute wohl ein entspannteres Verhältnis zu dem Zeugen Jehovas, der immer am Eingang auf mich wartete und es wochenlang mit heiligem Ernst ertrug, wenn ich ihn darum bat, für mich meinen Wagen zu parken. Ich dachte damals, dass der Euro den man in einen Einkaufswagen hineinsteckt, als Trinkgeld für den Einparker gedacht wäre und kam mir stets sehr weltmännisch vor, wenn ich ihm aufmunternd zunickte. Nun ja, man lernt aus seinen Fehlern.

Das mit dem elektronischen Bezahlen jedoch brauchte ich nicht groß zu lernen, das hatte ich schon beim ersten Mal auf Anhieb richtig hinbekommen. Vielleicht habe ich eine Art Talent zum Bezahlen, entstamme gar einem Geschlecht von altehrwürdigen Bezahlern, oder es war schlichtes Anfängerglück. Jedenfalls denke ich inzwischen, dass ich eventuell, möglicherweise, wenn denn der Mond günstig steht, auch ohne die Anweisung „Bitte die PIN eingeben und dann mit grün bestätigen.“ zurechtkommen würde.
Legt man vier Einkäufe pro Woche zu Grunde, von denen ich im Schnitt jeden zweiten per EC-Karte bezahlte, so kommt man auf den Schätzwert von 1040 von mir erfolgreich durchgeführten Bezahlvorgängen, allein in Supermärkten. Man läge wohl richtig, behauptete man, ich hätte mir durch umfangreiche Übung eine gewisse Kompetenz im Umgang mit der Karte erworben. Und trotzdem befinden es Kassierer und Kassiererinnen im ganzen Land für notwendig, mich ein ums andere mal wie ein Kleinkind an die wohlmeinende Hand zu nehmen. Vielleicht bin ich einfach zu bescheiden, zu wenig funkelnd als Glied in der goldenen Wertschöpfungskette am Halse der Gesellschaft? Es gilt ja auch sonst; im Beruf wie im Bett, ein bisschen Show muss sein! Wenn niemand weiß, dass ich was kann, kann ich es dann? Sollte ich hier also nach dem Prinzip Steuererklärung verfahren und einfach mal was wild in die Walachei hinein angeben?

„Bitte die PIN eingeben und dann mit grün bestätigen.“, sagt die Kassiererin.
Mit dem Daumen schnippe ich die schon meiner rechten Hand befindliche EC-Karte zwei Meter senkrecht in die Höhe. Hoch oben unter der Decke reflektiert der kleine Chip das grelle Halogenlicht über den saisonalen Sauerkraut-Sonderangeboten, blendet so die Kassiererin sowie die 77-jährige Witwe Bollaschk und den Bier kaufenden Bauarbeiter hinter mir in der Schlange gerade lange genug, um unbemerkt in Reihe drei zu schlüpfen, mir dort eine sportliche Windjacke und eine Quasipilotenbrille aus der Auslage zu nehmen, mir die Brille aufzusetzen, die Jacke lässig um die Schultern zu knoten, dann auf dem Weg zurück an die Kasse im Vorbeigehen noch einen Strauß Rosen abzugreifen bevor ich die immer noch im Flug befindliche EC-Karte mit der freien Hand hinter dem Rücken auffange, der Kassiererin die Blumen überreiche und ihr über den Rand der Brille hinweg intensiv in die Augen blicke, während ich die PIN eingebe und mit grün bestätige, ohne hin zu sehen! Schließlich sage ich, so erotisch wie es mir nur irgend möglich ist: „Wenn es Bestätigung ist, nach der Sie suchen, sind Sie bei mir an der richtigen Adresse. Sie sind eine schöne Frau und ich bin sicher, dass es die richtige Entscheidung war, sich eine radioaktive Giraffe auf die Innenseite Ihrer Oberschenkel tätowieren zu lassen.“ Zumindest stelle ich mir das so vor. Wie schwer kann das schon sein?

„Bitte die PIN eingeben und dann mit grün bestätigen.“, sagt die Kassiererin.
Mit dem Daumen schnippe ich die schon meiner rechten Hand befindliche EC-Karte direkt in das Gesicht der Witwe Bollaschk, wo sie knapp über dem Nasenbeinansatz etwa zwei Zentimeter tief eindringt und stecken bleibt. Die Kassiererin schlägt schockiert die Hände vor ihrem Mund zusammen, der Bauarbeiter fällt in Ohnmacht, nicht jedoch ohne vorher den Kasten Öttinger aus dem Weg zu schieben und sich so eine ausreichend große Fläche zum in Ohnmacht fallen zu schaffen. Alle halten den Atem an. Einzig Witwe Bollaschk kichert amüsiert vor sich hin. „Keine Sorge, junger Mann. Das sieht schlimmer aus, als es ist.“, sagt sie und prüft die Wunde vorsichtig mit den Spitzen ihrer Finger. „Im Alter wird man leider etwas zerbrechlich. Weich in und an der Birne, hihi. Mein Egon sagte schon früher immer, ich hätte eine Haut wie ein Pfirsich, aber das hat er wohl nicht gemeint, hihi.“
„Hihi.“, sagt die Kassiererin
„Ich finde es bewundernswert, mit wie viel Würde sie die verheerenden Folgen des Alterns ertragen.“, tönt die Stimme des Bauarbeiters von unten herauf.
„Hihi.“, sagt die Kassiererin, die wohl eine Art Schock erlitten hat.
„Bitteschön.“, sagt Witwe Bollaschk und reicht mir meine EC-Karte, die, seltsamerweise, dort wo sie den Schädel penetrierte, mit einer dicken Staubschicht bedeckt ist.
„Danke.“, sage ich und wende mich erneut dem Kartenlesegerät zu.
„Hihi.“, sagt die Kassiererin.
Stumm starre ich den Kartenleser an, während der Bauarbeiter sich auf sehr geräuschvolle Weise aufrappelt.
„Wenn sie Hilfe brauchen, sagen sie's einfach. Ich mache das ja schon ein bisschen länger als sie.“, bietet mir Frau Bollaschk ihre Unterstützung an.
„Ich habe meine PIN vergessen.“, sage ich.
„Bitte die PIN eingeben und dann mit grün bestätigen.“, sagt die Kassiererin, die ihren Abstand auf die Realität offenbar zumindest ein wenig hat verkleinern können.
Dann schlägt ein Meteor ein und vernichtet Neukölln.

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