Ein rostendes Bahngleis. Darüber ein Bahnsteig, verwittert und an der Kante vom Gewicht des Wartens rundgeschliffen. Darauf ein alter Mann, wie so viele einstmals jung gewesen und nun dem Tode näher als dem Leben, einen letzten Fluch auf den spröden Lippen balancierend, weil das Ende pünktlich kommt und sonst leider nichts. „Weselsky... Weseeelskyyy....“
Die GDL streikt, für höheren Lohn, für weniger Überstunden und vor allem für das Recht, auch zukünftig die eine oder andere Liane im Tarifdschungel selber knüpfen zu dürfen. Die Bahn wehrt sich, verweist auf die EVG. Die EVG lässt sich stolz den Kopf tätscheln und der Bundesmichel versteht die Welt nicht mehr. Er ist stolz auf sein Land, in dem die Dinge ordentlich laufen, in dem man schon eine Busverspätung von 5 Minuten als ungeheuerliche Zumutung empfindet. Streiken? Das ist doch nur was für diese verlotterten Drittweltländer ohne florierenden Export und anständige Arbeitsmoral. Frankreich, oder so.
Und so geht es den „Betroffenen“, deren Meinungsflak derzeit aus allen Mündungen feuert, auch gar nicht um faire Bezahlung oder um Widerstand gegen ein kommendes Tarifeinheitsgesetz. Ihnen geht es entweder um die eigene Bequemlichkeit oder um den geheimen Neid, den sie für jene empfinden, die es wagen, das Tempo des eigenen Hamsterrades mitbestimmen zu wollen.
Wenn ich noch einmal jemanden im Zusammenhang mit dem Bahnstreik das Wörtchen Geiselhaft gebrauchen höre, entführe ich höchstpersönlich dessen Kinder und verlange Lösegeld. Sollte diese hypothetische Person keine Kinder haben, entführe ich ersatzweise den Hund oder die Heintje-Gedenkteller-Sammlung. Was genau ich da nun in die Finger kriege ist auch gar nicht der Punkt, der Punkt ist, dass vom Streikrecht Gebrauch zu machen keine Geiselhaft ist. Geiselhaft ist Geiselhaft. Von vermummten Gestalten mit gezogener Pistole aus dem Wagen vor einen Camcorder geschleift zu werden ist Geiselhaft. Angst um das Leben seiner Lieben haben zu müssen ist Geiselhaft. Nicht mit dem Zug fahren zu können ist ärgerlich und mehr nicht.
Soll es ja auch sein. Ein Streik, der niemanden in seinem Leben einschränkt ist nichts anderes als der Nachweis, dass was immer man bezahlt bekommt, wohl immer noch zu viel sein könnte. Es ist eben leichter, sich solidarisch zu zeigen, wenn die Kesselflicker streiken, wenn die Klavierstimmer und Flaschensammler die Arbeit niederlegen. Aber wenn die Lokführer anmerken, dass sie ihren Lohn suboptimal finden, bersten die Kommentarspalten von BILD bis SPON. Dann schwadronieren die Kleingeister vom „Betriebsfrieden“ und natürlich dem „wirtschaftlichen Schaden“, der uns allen hier entstünde.
Dieser Logik zufolge, ist das Recht darauf, sich angemessene Bezahlung erstreiten zu dürfen umso kleiner, je gesellschaftlich relevanter ein Beruf ist. Man muss keinen Optiker konsultieren um den Blinden Fleck in dieser Argumentation zu erkennen.
Irgendwann kommen dann immer noch die, welche mit bebendem Kinn daran erinnern, dass Pflegekräfte und Kindergärtner/innen ja viel mehr Grund zum Streik hätten.
Natürlich kann man darüber reden, ob es nicht wichtiger wäre, dass die Altenpfleger mal die Banner hissen. Sollte man sogar. Ja, es ist angebracht, darüber nachzudenken, ob Gehalt und Sinngehalt einer Arbeit in irgendeinem Verhältnis zueinander stehen. Vermutlich gibt es Berufsgruppen, deren Verschwinden schlimmere Auswirkungen hätte, als das der Bahner. Allerdings muss ich mich, nur weil ich stattdessen auch an der Pest hätte erkranken können, noch lange nicht freuen, wenn mir die Cholera eine ungewohnte Außenansicht meiner Innereien beschert.
Ein Kilo Federn wiegt mehr als 999 Gramm Gold, aber wen interessieren da die Federn? Den armen Vogel, den man für dieses Gleichnis gerupft hat. Und da schließt sich der Kreis, denn Gerechtigkeit ist nun mal ein sehr subjektives Konzept. Apropos subjektive Wahrnehmung. Es scheint mir durchaus auffällig, dass eben jene Wutbürger, die sich sonst mit Verve über „die da oben“ beklagen, die Kinder von Zeter und Mordio, die Untergänger des Abendländle sich am meisten zu beschweren scheinen, wenn Ihresgleichen die Auseinandersetzung wagt.
Die Deutsche Bahn hat Züge, Bahnhöfe, ein gewaltiges Streckennetz und über 2 Milliarden Euro Kapital. Sie hat außerdem und nicht zuletzt die Unterstützung der Politik, da sie es als teilprivatisierter Konzern vortrefflich versteht, sich in Finanzfragen als privates Unternehmen und in allen anderen Belangen als öffentliche Institution zu inszenieren. Ihre Angestellten haben nur ihre Arbeitskraft anzubieten und tun es ihr lediglich gleich, wenn sie nun versuchen, für ihr Angebot den bestmöglichen Preis auszuhandeln, ebenso wie die Bahn uns ein ums andere Jahr steigende Ticketpreise mit gestiegenen Unterhaltskosten erklärt. Übrigens sind die Ticketpreise nicht das Einzige, was regelmäßig zulegt. Konzern-Chef Grube und seine Vorstandskollegen haben sich heuer für das doch eher mäßige Geschäftsjahr 2014 mal eben das Doppelte an Erfolgsboni ausgezahlt. 7,28 Millionen € um genau zu sein. Aber darüber regt sich niemand auf. Das sind wir doch schlicht nicht anders gewohnt. Das ist doch bloß der Lauf der Welt, ärgerlich, wie nasse Füße bei Flut, vielleicht sogar ungerecht, aber wenigstens können wir da immer noch den Zug nehmen.
Diese Schieflage der Werte wiegt so viel schwerer als jeder Kilometer Schienenersatzverkehr. Doch worüber wird diskutiert? Über Claus Weselsky, über die Aura des unsympathischen Machtmenschen, die ihn, gespannt zwischen Wolfgang-Stumph-Schnorres und polterndem Dialekt wie ein Tuch an der Leine fröhlich umweht. Vielleicht stimmt es ja. Vielleicht ist Weselsky nur ein opportuner Machtgeierling, der nicht weiß, wann es Zeit für einen Kompromiss ist. Oder aber er glaubt, man kann sich das Staunen kaum verkneifen, dass Gewerkschaften dazu da sind, im Interesse Ihrer Mitglieder zu handeln und nicht im Interesse der öffentlichen Meinung.
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