„Hallo Karsten. Schön dich bei uns zu haben!“, sagt das große
Lächeln.
„Karsten findet's auch schön.“, antwortet Heiko für mich.
Wir haben den McFit betreten, erfüllt von dem Ansinnen unseren
computerbildschirmlichtgebleichten, wabbeligen, amorphen Körpern ein
Mindestmaß an Konturen angedeihen zu lassen. Schließlich steht der
Sommer in den Startlöchern und wenn man der
Damenhygieneartikelwerbung Glauben schenken darf, kann es sich nur
noch um Tage handeln, bis ein Beamter des Bundessommerministeriums an
meine Tür klopft, all meine Kleidung beschlagnahmt und mir zum
Ausgleich etwas dalässt, das, wenn es mal groß wird, eine Badehose
sein möchte.
Ich habe nie verstanden, warum die Menschen so ausdauernd über
den Winter schimpfen. Schon klar, es ist kalt. Aber man darf drinnen
bleiben, wo es niemanden stört, wenn man unter drei
Pulloverschichten langsam mit der Couch verschmilzt. Im Sommer
hingegen muss man raus, um auf körnigem Sand zu sitzen und sich von
anderen Menschen mustern zu lassen, die sich alle entschlossen haben,
dich anzustarren, weil die LCD-Bildschirme ihrer Smartphones im
Sonnenlicht zu stark reflektieren. Ein schöner Geist in einem
schönen Körper und so. Schöne Scheiße.
Vorhin klopfte es an meiner Tür. Als ich gerade hektisch
versuchte, meine Kapuzenpullis in der Spülmaschine zu verstecken,
klopfte es ein zweites Mal und Heikos Stimme drang durch den Flur.
„Mach auf. Ich bin's.“
„Ach du, komm rein. Was gibt’s denn?“
„Wir müssen trainieren gehen.“
...
Der folgende Moment lässt sich am ehesten als Schluckauf in der
Matrix beschreiben. Genau so gut hätte Heiko mir mitteilen können,
dass er sich als dritte Stimme einem Akkordeon-Orchester
angeschlossen hätte oder plane, den Rekord für Goldfischweitwurf zu
brechen. Dinge also, die, theoretisch gesprochen, nicht direkt
unmöglich sind, aber doch so nah dran, dass es eigentlich
keinen echten Unterschied mehr macht.
„Wir müssen trainieren gehen.“
„So, so.“, sage ich, um Zeit zu gewinnen.
„Ja, das ist gut für den Rücken und die Mädels stehen drauf.
Du willst doch auch was für deine Cardio tun.
Dein Körper ist
ein Tempel. Komm, wir gehen zu McFit. Da kann man zwei mal für
umsonst outworken, bevor man was zahlen muss. Einem geschenkten Gaul
schaut man nicht ins Maul. Komm, wir trainieren das System kaputt
und werden muskulöse Helden der Arbeiterklasse. Oder willst Du, dass
die Dicken gewinnen?“
Was danach geschah, ist ein in meiner Erinnerung verchwommener
Brei aus halbgaren Argumenten, Motivationsreden und glatten Lügen,
die aus Heikos Mund auf mich hernieder kamen, wie der Todesstern auf
Alderaan und dessen Fluten mich wie von Zauberhand vor die Tore der
modernen Folterkammer spülten.
Verwirrt betrachte ich den lässig über meine Schulter geworfenen
Turnbeutel. Seit wann habe ich einen Turnbeutel? Und seit wann
besitze ich abgewetzte Laufschuhe, die sich, wie ich am Geruch
erahnen kann, wohl im Beutel befinden müssen? Ich hebe meinen Blick
und stelle erstaunt fest, dass es im McFit genau wie auf der Brücke
der Enterprise aussieht. Überall weißes, glattes Plastik, gebogene
Linien und Bildschirme, auf denen Menschen in farbenfroher, eng
anliegender Kleidung kryptische Diagramme befingern. Zwischen ihnen
gehen andere Menschen ohne erkennbaren Zweck, aber dafür sehr
energisch irgendwo hin und selbst eine Eingangsschleuse gibt es, an
der man sich ausweisen soll und die, natürlich, mit einem
freundlichen „Ts-tschhhhh“ sanft vor uns aufgleitet. Nachdem wir
unsere Daten in ein Touchpad am Eingang eingetippt haben, treten wir
an den kommandieren Brückenoffizier heran. Ein junger,
braungebrannter, dynamisch frisierter, bepolohemdeter Adonis, dessen
Muskeln den Stoff des Textils sich elegant anspannen lassen. Er
blickt mit einem makellosem Hollywoodlächeln von seinem, in das
Furnier des Tresens eingelassenen, Display auf und strahlt mich mit
umfassender Überlegenheit an. „Hallo Karsten. Schön dich bei uns
zu haben!“, sagt das große Lächeln. Noch nie in meinem Leben habe
ich mir derart gewünscht, gesiezt zu werden.
„Karsten findet's auch schön.“, antwortet Heiko für mich.
„Tue ich das?“, frage ich nach.
Aus versteckten Lautsprechern wummert Elektro und überall um mich
herum hebt man Gewichte im Takt, läuft man gleichgeschaltete
Schritte und kommt doch nicht von der Stelle. Das pulsierende Atmen angestrengter Gesichter zerfließt zu
einer weiteren, unangenehm organischen Tonspur in diesem Lied von Eis
und Feuer, dass ich noch nie zuvor gehört habe. Ernst blickt man
hier, denn Selbstoptimierung ist nun mal kein Spiel. Nur auf den
überlebensgroßen Fotos an den Wänden lächeln mich vollständig
körperfettbefreite Modellathleten an und verweisen auf den
offiziellen McFit-Slogan: „#MACHDICHWAHR“
Hashtag mach dich wahr. Hashtag, denn es wird erst wahr, wenn Du
jemandem davon erzählst. Trainiere, schwitze, stähle dich und dann
zeige der Welt deine Muskeln. Sich gut zu fühlen, ist gut. Sich
besser als der Typ neben dir zu fühlen, ist geil!
„#MACHDICHWAHR“, sagen die Wände.
„Hallo Karsten. Schön dich bei uns zu haben!“, sagt das große
Lächeln.
„Komm, wir gehen Burger essen.“, sagt Heiko. „Wenn jemand
nachfragt, erklären wir einfach, wir hätten McFit und Mc Donald's
miteinander verwechselt.“
„Aber ich dachte, wir müssen trainieren?“
„Ja, machen wir morgen.“, antwortet er und beide wollen wir es
glauben.
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