Sonntag, 11. Mai 2014

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Über Schnupfen


Läuft. Meine Nase läuft. Damit hat Sie mir einiges voraus, denn ich laufe nicht, sondern liege. Hier in meinem Bett, in dem ich heut Nacht keinen Schlaf zu finden vermag, denn meine Nase läuft. Manchmal scheint sie auch ein Paar Schritte zu rennen oder fröhlich zu hüpfen und für einige besonders eklige Momente tanzt sie sogar den Moonwalk. Meine Nase hat den Spaß ihres Lebens. Ich atme durch den offenen Mund. Immer wieder mal verfängt sich mein Blick auf dem Straßenlaternenlicht, dass sich auf den sanft wogenden Vorhängen niedergelassen hat, driftet mein müder Verstand beinahe weit genug weg, bevor ich dann doch wieder aufschrecke, weil mein eigenes Geschnarche mich erschrickt.
Der Schrecken vorm eigenen Schnarchen ist ein ganz besonderer. Zuerst erschrickt man so ganz allgemein, dann, weil so kurz nach dem Aufwachen kein Mensch sicher sagen kann, ob zwei eine gute Menge Füße ist, übernimmt ein durch Jahrmillionen Angst vor nächtlichen Geräuschen geschärfter Fluchtreflex die Kontrolle.
Wie ein Springmesser klappt man dann in die Vertikale, stößt sich den Kopf an der zu tief hängenden Leselampe, wodurch die dünne Kruste geronnen Rotzes aufbricht und das ganze Spiel wieder von vorn beginnt. Die Nase läuft. Man mag sich nicht vorstellen, wie viel Energie da auf den Staat hochgerechnet im Jahr verschwendet wird. Ich knipse das immer noch baumelnde Licht an und notiere auf ein Papiertaschentuch: 

„Selbstversorgende Krankenhäuser durch tief über den Betten installierte Prell-Balken, welche die Stoßenergie der Patientenstirnen über ein hydraulisches Gestänge in Elektrizität umwandeln.“

Das ist die Sorte Gedanken, die mich umtreibt, wenn ich nicht schlafen kann. Ich weiß wohl, das ist auch nur eine andere Art Rotz, der da aus mir herausströmt. Gedanken-Rotz, aber egal ob Nase oder Kopf, hast du Schnupfen, läuft es eben. Überhaupt, Schnupfen, pah! Echte Krankheiten bedrohen dich mit Schmerzen, Tod und Brechdurchfall. Ich mache das Licht noch mal an und notiere auf Rückseite des Taschentuchs: 

„Schmerzen, Tod und Brechdurchfall. Guter Name für eine ironische Amigos-Coverband“. 

Nur Schnupfen, der ist nicht bedrohlich. Wo liegt da die Gefahr? Wer kennt jemanden, der mehrere Wochen lang durch das linke Nasenloch dehydrierte, um schließlich elendiglich an Austrocknung zu verenden? Hm? Wenn Schnupfen ein Mensch wäre, dann mit Sicherheit kein Killer, ja noch nicht mal ein Handtaschendieb. Schnupfen wäre der Typ, der schon in den Bus einsteigen will, während alle Anderen noch aussteigen. Schnupfen, du könntest dir meines Mitleids sicher sein, wärest du nicht so lästig!
Lästig zu sein bedeutet im Wesentlichen auf aggressive Art und Weise Bedeutungslos zu sein und genau diese Eigenschaft teilt die durchschnittliche Rhinitis acuta mit meiner Nase. Meine Nase ist wie der Ersatzreifen in meinem Kofferraum, wie der rosa Power Ranger, das am wenigsten nützliche Mitglied in einer Gruppe von fünf.

Früher mag es ja einmal wichtig gewesen sein, gut riechen zu können. Damals, als sich Wölfe geschützt von Dickicht und Windschatten an einen anzupirschen versuchten, aber heute?
Fragen Sie sich selbst, worauf könnten Sie verzichten? Auf das Gefühl von Samt und Frauenhaar zwischen Ihren Fingern? Auf die ungestüme Farbenpracht eines Feuerwerks, auf Symphonien oder gar auf den Geschmack von Äpfeln und unbekümmerten Küssen? Oder doch eher auf die sommerliche Autofahrt zwischen zwei frisch gedüngten Weizenfeldern? Außerdem, was gibt es denn heute schon noch groß zu riechen? Parfüms, Tarngerüche als olfaktorische Mimikry im Dschungel der Gesellschaft, und Schnittblumen. Zu Namenstag und Abitur überreicht man uns freudig Bündel dem Tode geweihter Lippenblütler und erwartet dann ein hingebungsvolles „hmmmmm“, wenn wir an den langsam dahin siechenden, amputierten Pflanzenleibern schnuppern. Und dann sagen wir auch „hmmmmm“, weil wir die Stimmung nicht verderben wollen. „Hmmmmm“ sagen wir, wie zu einem Kind, das während seiner Schulaufführung drei Mal den Text vergessen hat, obwohl es nur einen Baum am Bühnenrand spielen durfte und sein einziger Beitrag aus der Zeile „Ihr habt’s erfasst, das ist mein Ast.“ bestand. 
„Hmmmm, das war ganz toll. Ganz toll hast du … also, nee wirklich. Das waren die besten Duftmoleküle im ganzen Saal! Feine Nase! Brave Nase!“, sagen wir aber irgendwie kriegen sie ja doch immer mit, wenn man sie anlügt. Und dann wird die Nase aufsässig und hängt später aus Trotz immer mit diesen Erkältungsviren ab, einfach weil sie genau weiß, dass uns das wahnsinnig macht. Steckt ja auch schon drin im Trotz, der Rotz.
Ein letztes Mal mache ich Licht und notiere auf der Raufasertapete: 

„Mischwald, das Musical. Die fantastischen Vier spielen das heldenhafte Ritterquartett Borke, Rinde, Wurzel und Horst.“

Dann dehydriere ich langsam durch das linke Nasenloch uns verende elendiglich an Austrocknung.




1 Kommentar:

  1. Ich werde wohl nie wieder normalen Schnupfen haben.....ohne an dein Werk denken zu müssen!
    Schaff dir unbedingt einen Block an, den du neben das Bett legst. Papiertaschentücher und die Tapete sind sicher nicht geeignet für deine Gedankengänge :D
    Danke! :)

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